Bleib bei mir, kleine Lady
der Versöhnung war.
Wenn der Marquis ihm so großzügig verziehen hatte, wer würde es dann noch wagen, ihn zu ignorieren?
Lord Damien war im ersten Augenblick so bewegt, daß er kein Wort herausbrachte, und der Marquis wandte sich wieder seinen Pflichten zu.
Und nun fingen die Menschen auf dem Rasen, die den Atem angehalten hatten, wieder zu sprechen an.
Alles wollte dem Helden des Tages gratulieren, alles wollte den Mann, der Königin Victoria das Leben gerettet hatte, sehen und ihm die Hand schütteln.
Und während er umringt wurde, traten Gracila die Tränen in die Augen, und sie konnte nichts mehr sehen.
Sie wußte, daß dies das Wunder war, um das sie gebetet hatte.
Voll andächtiger Dankbarkeit kletterte Gracila aus dem Krähennest, nahm Sampson am Zügel und führte ihn nach Hause.
Das, was geschehen war, sollte alles ändern. Lord Damiens Leben, ihr Leben und ihre gemeinsame Zukunft.
Als sie Sampson in den Stall gebracht hatte, ging sie ins Haus und wartete. Sie wußte, daß nun alles ganz anders kommen würde.
Das war nicht das Ende, sondern der Anfang.
Sie verbarg sich nicht im Renaissancezimmer, sondern ging in die große Eingangshalle und schloß das Hauptportal auf, das die Dienstboten verriegelt hatten, ehe sie weggefahren waren. Sie fand es symbolisch, daß es für die Rückkehr Lord Damiens offenstehen sollte.
Es gab keinen Grund mehr, warum Lord Damien in seinem eigenen Haus einsam sein sollte, gemieden von seinen Nachbarn, geschnitten von der Gesellschaft.
Gracila stand im Portal und sah hinaus. Sie hatte das Gefühl, als sei die Welt plötzlich in ein goldenes Licht getaucht.
Und schließlich sah sie eine Kutsche über die Wageneinfahrt kommen und wußte, daß jemand Lord Damien nach Hause brachte.
Schnell lief sie die breite Freitreppe hinauf und versteckte sich in einer Nische, von der aus sie das Portal und die Halle sehen konnte.
Draußen hielt eine elegante Kutsche, vor die zwei Pferde gespannt waren. Ein Diener tauchte auf und öffnete Lord Damien die Tür.
„Vielen Dank, daß Sie mich nach Hause begleitet haben“, hörte Gracila ihn sagen. „Und vielen Dank für alles, was Sie mir gesagt haben.“
„Es war für uns alle ein sehr aufregender Augenblick“, hörte Gracila ihre Stiefmutter erwidern. „Bitte, vergessen Sie nicht, Lord Damien, daß Sie versprochen haben, morgen abend mit uns zu dinieren.“
„Ich bedanke mich sehr herzlich, Lady Sheringham“, entgegnete Lord Damien. „Ich werde es natürlich nicht vergessen.“ Er verbeugte sich.
„Also, dann bis morgen abend, Virgil“, hörte Gracila ihren Vater sagen. „Es wird wieder wie in alten Zeiten sein.“
„Vielen Dank, Mylord“, entgegnete Lord Damien.
Die Kutsche fuhr weiter, und Lord Damien stand noch einen Augenblick lang höflich auf den Stufen und sah ihr nach.
Dann drehte er sich um und trat durch das Portal.
Und während er das tat, kam Gracila die Treppe herunter.
Sie hatte sich vorgenommen, ihm ganz langsam entgegenzugehen, doch plötzlich konnte sie nicht mehr an sich halten.
Sie lief durch die große Halle, lag plötzlich in seinen Armen und spürte seine Lippen in einem Kuß, der sie beide in einen wolkenlosen Himmel erhob.
7
Ein paar Reiskörner trafen Lord Damien an der Schläfe, und er stieß einen unterdrückten Fluch aus.
Gracila lachte.
„Das hat weh getan“, sagte er.
„Wenn du das nächstemal heiratest, mußte du eben darum bitten, daß man den Reis vorher kocht“, sagte sie, und sie lachten beide.
Mehr Reis wurde geworfen, und auch Rosenblätter.
Und als sie durch das Schloßtor fuhren, jubelten die Dorfbewohner, und die Kinder warfen kleine Blumensträuße.
Gracila hielt Lord Damien fest an der Hand.
Als das Dorf hinter ihnen lag, sahen sie sich an, und ihre Augen strahlten.
Lord Damien sah um Jahre jünger aus, so anders als an dem Tag, an dem Gracila ihn zum erstenmal gesehen hatte, daß er kaum mehr derselbe Mann zu sein schien.
Enttäuschung, Zynismus, Bitterkeit – nichts mehr war davon zurückgeblieben.
Gracila konnte es immer noch nicht fassen, daß all ihre Wünsche in Erfüllung gegangen waren. Sie waren verheiratet, und das bereits fünf Wochen, nachdem sie sich kennengelernt hatten.
„Was hat Papa gesagt, als du um meine Hand angehalten hast?“ hatte sie Lord Damien gefragt.
„Er war erst einmal sehr erstaunt. Und dann hat er mich gefragt, wie wir uns denn sicher sein können, und hat gemeint, wir hätten uns doch erst ein paarmal
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