Bleib cool Samantha
wusste nicht, was Catherine unrealistischer fand – die Vorstellung, dass David und ich miteinander schlafen könnten oder dass Kris es herausfinden könnte. Ich hatte aber auch nicht vor, ihr zu sagen, dass Ersteres wahrscheinlicher war, als sie es sich womöglich vorstellte. Nicht weil ich ihr nicht vertraut hätte. Ich weiß, dass Catherine ein Geheimnis für sich behalten kann. Ich vertraue ihr blind.
Nur war ich mir eben immer noch nicht so sicher, ob ich es wirklich tun würde. Über Thanksgiving mit David wegzufahren, meine ich. Ich hatte bisher auch noch keine Gelegenheit gehabt, ihm zu sagen, dass meine Eltern es mir erlaubt hatten.
Worüber ich übrigens nach wie vor ziemlich sauer war. Dass sie es mir erlaubt hatten, meine ich. Es war ja wohl offensichtlich, dass sie es nur deswegen getan hatten, weil Lucys schlechter Einstufungstest sie abgelenkt hatte. Es wäre ja auch noch schöner, wenn die beiden sich zur Abwechslung auch mal um mich Sorgen machen würden. Aber als klassisches Sandwichkind zwischen zwei Geschwistern bin ich daran gewöhnt, nicht beachtet zu werden.
Wobei ich Lucy wahrscheinlich nicht die ganze Schuld daran zuschieben konnte, dass sie es mir erlaubt hatten. Irgendwie leiden meine Eltern unter der irrigen Vorstellung, ich wäre ihre brave Tochter. Die Tochter, die sich vielleicht ihre Haare schwarz färbt, sich aber im Zweifelsfall eben auch vor den Präsidenten wirft, um ihm das Leben zu retten. Um diese Tochter macht man sich natürlich keine Sorgen. Weil sie natürlich nie etwas so Unvernünftiges tun würde, wie am Thanksgiving-Wochenende mit ihrem Freund zu schlafen.
Es würde meinen Eltern eigentlich nur recht geschehen, wenn ich als unverheiratete Teenager-Mutter endete.
Aber das alles konnte ich Catherine nicht erzählen. Sie hatte es schon schwer genug. Zum Beispiel dass ihre Mutter ihr nicht erlaubt, Hosen anzuziehen (das ist echt wahr; sie muss immer lange Röcke tragen, sogar beim Sport). Deshalb wird sie in der Schule die ganze Zeit verarscht. Ich wollte Catherines Unglück nicht noch vergrößern, indem ich ihr sagte, dass ihre beste Freundin sich ernsthaft überlegte, ihre Jungfräulichkeit zu verlieren.
Abgesehen davon geht das sowieso niemanden etwas an. Außer mich.
»Hey, cool!«, rief Dauntra, als ich eine Minute vor Beginn der Spätschicht in die Videothek stürmte. »Das ist mal eine echt gute Entscheidung!«
Ich begriff erst nicht, wovon sie redete. Ich dachte, sie meinte, dass ich die Entscheidung getroffen hätte, mit meinem Freund zu schlafen, und fragte mich, wie sie davon erfahren hatte. Vor allem weil ich mich doch gar nicht entschieden hatte. Noch nicht.
Dann fielen mir wieder meine Haare ein.
»Ach so, ja«, sagte ich. Ich muss zugeben, dass ihre Reaktion (die eindeutig positiv, ja fast schon bewundernd war) alle»Was hast du denn mit deinen Haaren gemacht?«-Kommentare, die ich mir in der Schule hatte anhören müssen, wettmachten. In der Potomac Videothek gelte ich nämlich – genau wie bei meinen Eltern – als die »Brave«. Ich bin das Mädchen, das den Präsidenten gerettet hat und das die sechs Dollar fünfundsiebzig, die ich hier pro Stunde verdiene, nicht benötigt, um ihr uneheliches Kind zu versorgen oder sonst etwas in der Art. Ich glaube, die haben mich hier immer für eine Art Sonderling gehalten.
Bis zu dem Tag, an dem ich mir die Haare schwarz färbte. Jetzt war ich plötzlich cool.
Hoffte ich jedenfalls.
Weil die Leute, die in der Potomac Videothek arbeiten, nämlich alle verdammt cool sind.
Besonders Dauntra, mit der ich freitags die Spätschicht mache. Ihr Leitspruch (sie hat ihn sich an den Mitarbeiterschrank geklebt): Stelle jede Form von Autorität infrage . Ihr Lieblingsfilm: »Clockwork Orange«. Ihre Lieblingspartei: Jedenfalls nicht die von Davids Vater. Die erste Frage, die sie mir stellte, als wir uns kennenlernten, lautete: »Hast du dir eigentlich schon mal überlegt, dass du uns allen eine Menge Kummer erspart hättest, wenn du ihm nicht das Leben gerettet hättest?«
Obwohl ich mir vorstellen kann, dass sie recht hat, glaube ich, dass nicht einmal Dauntra es über sich gebracht hätte, einfach untätig zuzusehen, wie jemand erschossen wird, ganz egal wie sehr sich die politischen Ansichten dieser Person von ihren eigenen unterscheiden. Besonders wenn man weiß, dass es zwar eine Menge Leute gibt, die den Präsidenten nicht mögen – und nach den letzten Meinungsumfragen zu schließen, sind das wirklich
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