Bleib cool Samantha
das heißt. Soll ich es machen oder lieber nicht?«
Irgendwie konnte ich mich nicht dazu überwinden. Stattdessen fragte ich sie im leichten Plauderton. »Und wie läuft die Aktion ›Hände weg von meinem Rucksack‹?«
»Ich komme da gerade nicht weiter.« Sie warf einen missmutigen Blick in Richtung von Stans Büro. »Er sagt, wenn es mir nicht passt, kann ich gern bei McDonalds arbeiten.«
Dauntra ist davon überzeugt, dass die Durchsuchung der Taschen der Mitarbeiter durch den Geschäftsführer eine Beschneidung der Persönlichkeitsrechte darstellt und daher verfassungswidrig ist. Weil meine Mutter Anwältin ist, habe ich sie gefragt, ob das stimmt, und sie meinte, es sei gesetzlich nicht verboten. Dauntra weigert sich aber, das zu glauben. Ich finde es trotzdem gut, dass sie sich über solche Sachen Gedanken macht. Ich kenne genug andere Leute – na ja, okay, vor allem Kris Parks –, die sich bloß deswegen für eine Sache engagieren, weil sie glauben, es würde sich für ihre Unibewerbung auszahlen.
»Ich hab mir überlegt, eine Flasche Ahornsirup in meinen Rucksack zu kippen«, erzählte Dauntra, »damit Stan sich die Hände verklebt, wenn er ihn heute Abend durchsucht. Aber das ist ein ziemlich neuer JanSport-Rucksack, und ich hab irgendwie auch keine Lust, ihn komplett zu versauen.«
Ich nickte. »Damit würdest du nur dir selbst schaden und letzten Endes bringt das auch nichts. Außerdem kann Stan ja eigentlich nichts dafür. Er macht nur seinen Job.«
Dauntra kniff die Augen zu Schlitzen zusammen: »Genau mit dem Argument haben sich die Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg auch rausgeredet.«
Ich fand zwar nicht, dass man das Durchsuchen eines Rucksacks nach gestohlenen DVDs wirklich mit dem Mord an sieben Millionen Menschen vergleichen kann, hielt aber lieber meinen Mund, weil mir Dauntra wahrscheinlich nicht zugestimmt hätte.
Zum Glück wechselte sie sowieso das Thema. »Wie war eigentlich dein neuer Zeichenkurs? Das Aktzeichnen, meine ich?«
»Ach das…«, sagte ich. »Tja, das war eine ziemliche Überraschung.« Ich hatte keine Lust, ins Detail zu gehen, deshalb sagte ich nur: »Wusstest du, dass man beim Akt-zeichnen nackte Menschen zeichnet?«
Dauntra sah noch nicht mal von dem Manga auf, den sie aufgeschlagen auf die Kasse gelegt hatte, und in dem sie las, während sie mit mir redete. »Hä? Ja klar.«
»Ach so«, sagte ich etwas enttäuscht. »Also, ich wusste es nicht. Für mich war es das erste Mal, dass ich einen… na, du weißt schon was, gesehen habe.«
Ich merkte, wie ein Ruck durch Dauntra ging.
»Was, ihr habt einen Typen gezeichnet?« Sie sah von ihrem Comic-Heft auf – wobei es eigentlich eher ein Comicroman war. Ich sollte mir mal langsam angewöhnen, die richtigen Fachausdrücke zu benutzen, weil ich eines Tages ja selbst Mangazeichnerin werden will. »Ich hab gedacht, Aktmodelle sind immer Frauen.«
»Anscheinend nicht.«
»Vor Kurzem hat ein Typ in der U-Bahn die Hosen vor mir runtergelassen«, erzählte Dauntra. »Ich habe die Bullen gerufen. Und diese Susan Boone zahlt einem Typen Geld dafür, dass er sich nackt zeigt.«
Ich nickte. »Ja.«
Dauntra schüttelte ungläubig den Kopf. »Hast du dich nicht missbraucht gefühlt? Wenn mir ein Typ ungebeten sein Ding zeigt, fühle ich mich immer missbraucht und vergewaltigt.«
»Na ja, so war es ja nicht«, erklärte ich. »Ich meine, es ging ja um… Kunst.«
»Kunst.« Dauntra nickte. »Klar. Ich fasse es nicht, dass ein Typ Kohle dafür bekommt, sein Ding zu zeigen, und dann nennt man das auch noch Kunst.«
»Die Kunst besteht ja nicht darin, dass er uns sein Ding gezeigt hat«, wandte ich ein, »sondern dass wir es gezeichnet haben.«
Dauntra seufzte. »Vielleicht sollte ich auch Aktmodell werden. Ich meine, da kriegt man Geld fürs Rumstehen.«
»Fürs Nackt -Rumstehen«, präzisierte ich.
»Na und?« Dauntra zuckte mit den Schultern. »Der menschliche Körper ist schön.«
»Verzeihung?« Ein Mann mit Baskenmütze kam auf uns zu – ja echt, mit so einer französischen Baskenmütze, obwohl er sonst kein bisschen französisch aussah. »Ich habe mir einen Film zurücklegen lassen. Mein Name ist Wade. W-A-D…«
»Ja, das ist der hier«, sagte ich hastig. Der Typ in der Baskenmütze ist nämlich Stammkunde bei uns, und obwohl ich erst zwei Monate in der Potomac Videothek arbeitete, wusste ich, dass man Mr Wade so schnell wie möglich loswerden muss, weil er einem sonst nämlich ein Ohr abkaut und stundenlang
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