Bleib cool Samantha
betrifft, betrifft automatisch auch mich.«
Als sie das sagte, blieb sie neben mir stehen und legte mir den Arm um den Hals. Wahrscheinlich wollte sie mit dieser Geste liebevolle familiäre Verbundenheit ausdrücken, aber ich muss ehrlicherweise sagen, dass sie mich fast erwürgte.
»Übrigens«, sagte Lucy, »bist du eine ganz schöne Lügnerin, Kris.«
Kris warf über die Schulter einen Hilfe suchenden Blick auf ihren Genossinnen, deren verdatterte Mienen ausdrückten: Wir wissen auch nicht, wovon sie spricht .
»Öh…« Kris war verunsichert.»Entschuldigung,Lucy, aber ich glaube, wir haben gestern Abend alle mit eigenen Ohren gehört, wie deine Schwester die gesamte amerikanische Nation darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass sie Ja zum Sex gesagt hat.«
Lucy winkte ab. »Das meinte ich nicht. Ich meinte, dass du lügst, wenn du immer so tust, als wärst du die Unschuld in Person. Habe ich dich gestern nicht auf dem Schulparkplatz auf dem Rücksitz von Random Alvarez’ Limousine gesehen?«
Kris zuckte zusammen, als hätte Lucy sie geohrfeigt.
Und irgendwie hatte sie das wohl auch.
»Ich…« Kris sah wieder nervös zu ihren Getreuen hinüber. Aber die zwinkerten bloß nervös, als wollten sie sagen: Sekunde mal … Was hat sie gesagt?
Kris drehte sich schnell wieder zu Lucy um. »Nein. Ich meine, ja… ich meine, ich war in seiner Limousine, das stimmt. Aber wir haben nichts gemacht! Ich meine, er wollte mir bloß sein Demo-Band zeigen. Er hat mich gefragt, ob ich es sehen will…«
»Und du«, sagte Lucy, »hast wahrscheinlich einfach Ja gesagt, stimmt’s?«
»Ja«, sagte Kris. Dann schüttelte sie hektisch den Kopf, als ihr klar wurde, was sie da gerade gesagt hatte. »Ich meine, nein. Ich meine…«
Und plötzlich war Kris diejenige, die bis zum Haaransatz knallrot wurde.
»Aber so war es nicht«, sagte Kris hastig. »Da ist nichts passiert. Das war alles total harmlos.« Sie sah wieder zu ihren Mitstreiterinnen vom »Richtigen Weg« rüber. »Random und ich haben uns bloß unterhalten. Ich glaube, er fand mich nett. Er lädt mich vielleicht zu den MTV Video Awards ein… nach New York…«
Aber keiner glaubte ihr. Das merkte man total, noch nicht mal ihre Gefährtinnen vom »Richtigen Weg«. Weil alle mitgekriegt hatten, wie sie geflirtet hatte. Mit Random, meine ich.
»Die Sache ist die, Kris«, sagte Lucy, die mich immer noch im liebevollen Würgegriff hielt. »Du musst echt aufpassen, wen du Schlampe nennst. Weil wir nämlich…«, sie warf Kris’ Gang einen vielsagenden Blick zu,»…in der Überzahl sind.«
Kris stammelte: »A-aber dich hab ich doch damit gar nicht gemeint, Lucy. Ich würde nie… ich meine, niemand würde jemals zu dir Schlampe sagen.«
»Lass uns mal eins klarstellen, Kris«, sagte Lucy kühl. »Wenn du meine Schwester eine Schlampe nennst, bezieht sich das gleichzeitig auf mich. Denn wenn Sam eine Schlampe ist, Kris, dann bin ich auch eine.«
Alle Schüler in der Cafeteria hielten gleichzeitig die Luft an.
Meine Augen füllten sich wieder mit Tränen. Ich konnte es nicht fassen. Lucy setzte für mich ihren Ruf aufs Spiel. Für MICH.
Das war echt das Netteste, was sie je für mich getan hatte. Nein, es war das Netteste, was irgendwer jemals für mich getan hatte.
Bis irgendwo in der Cafeteria ein Stuhl umfiel und eine tiefe männliche Stimme rief: »Ich bin auch eine Schlampe.«
Und zu meiner totalen Überraschung kam Harold Minsky auf uns zu, die Schultern in seinem bunten Hawaiihemd kämpferisch zurückgeworfen.
Als Lucys Nachhilfelehrer sich neben sie stellte, sah sie zu ihm auf und ihre Miene strahlte absolute Hingabe aus – vermischt mit Verblüffung.
»Wenn die beiden Schlampen sind«, sagte Harold laut und deutete auf Lucy und mich. »Dann bin ich auch eine.«
»Oh, Harold!«, hauchte Lucy mit einer Stimme, die ich bei ihr noch nie gehört hatte – mit Jack hatte sie jedenfalls ganz sicher nie so gesprochen.
Harolds Gesicht färbte sich zwar so rot wie die Blumen auf seinem Hemd, aber er stand hoch erhobenen Hauptes da, sah uns mit festem Blick an und sagte: »Schlampensolidarität.«
In diesem Moment trat Catherine aus der Warteschlange an der Essensausgabe, stellte sich hinter Lucy, Harold und mich und verkündete mit der lautesten Stimme, die ich je bei ihr gehört habe: »Ich bin auch eine Schlampe!«
O Gott! Ich versuchte, den Kopf zu drehen, um Catherines Gesicht zu sehen, aber das war schwierig, weil Lucy mich immer noch halb erwürgte.
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