Bleib cool Samantha
Genossinnen auftauchten.
»Der ›Richtige Weg‹!«, flüsterte Catherine und zupfte mich am Ärmel. »Sie kommen geradewegs auf uns zu.«
Ich wurde ganz starr. Kris würde es nicht wagen, etwas zu mir zu sagen. Ich meine, klar, Leute wie Debra, die sich nicht verteidigen konnten, die zerriss sie natürlich, ohne
mit der Wimper zu zucken, in der Luft.
Aber mich? Das würde sie nicht wagen.
Ich täuschte mich.
Sie wagte es.
Und wie sie es wagte!
»Schlampe!«, zischelte Kris, als sie und ihre Mitstreite-rinnen an mir vorbeikamen.
Ich hatte an diesem Tag einiges ertragen. Das Tuscheln. Das Kichern. Die plötzliche Stille, als ich in die Mädchentoilette kam.
Ich hatte wirklich viel ertragen. Sogar mehr als viel.
Aber das?
Das war zu viel.
Ich trat aus der Schlange heraus und stellte mich Kris in den Weg.
»Wie hast du mich gerade genannt?«, fragte ich sie. Mein Kinn war exakt auf gleicher Höhe wie ihres.
Ich wusste, dass Kris es mir niemals ins Gesicht sagen würde. Dazu war sie viel zu feige. Wobei sie wahrscheinlich nicht wirklich Angst hatte, ich könnte sie verprügeln. Ich habe noch nie in meinem Leben jemanden geschlagen – na gut, außer Lucy, als wir klein waren. Ach ja, und den Typen, der versucht hat, den Präsidenten zu erschießen. Aber den hatte ich eigentlich weniger geschlagen, als vielmehr angesprungen.
Nein, Kris nahm sicher nicht an, dass ich sie schlagen würde. Aber vielleicht befürchtete sie ja, dass ich ihr irgendetwas anderes antun würde.
Doch die Angst schien nicht sehr groß zu sein, denn sie verschränkte die Arme vor der Brust, blieb mit lässig vorgeschobener Hüfte vor mir stehen und sagte: »Wie ich dich genannt habe? Ich habe dich eine Schlampe genannt. Weil du genau das bist.«
In der Cafeteria der Adams Highschool herrscht normalerweise ein Höllenlärm, aber erstaunlicherweise wurde es plötzlich so mucksmäuschenstill, dass man eine Stecknadel fallen gehört hätte. Mal wieder typisch, dass in genau so einem Moment alle im Raum beschlossen hatten, ausnahmsweise mal nicht miteinander zu reden. Oder mit dem Besteck zu klappern. Oder zu schmatzen.
Oder zu atmen.
Was daran lag – das hätte mir klar sein müssen –, dass vom ersten bis zum letzten Schüler jeder im Raum bemerkt hatte, wie Kris und ihre Mitstreiterinnen vom »Richtigen Weg« auf mich zugekommen waren. Und jeder wusste, dass es jetzt einen Showdown geben würde. Alle Augen waren auf mich und Kris gerichtet. Alle hatten den Atem angehalten, als Kris mich Schlampe genannt hatte – O Gott! Das hat sie gerade nicht wirklich gesagt?! –, und jetzt warteten sie gespannt auf meine Antwort.
Bloß dass mir keine einfiel. Ganz ehrlich, ich war völlig unvorbereitet. Ich hatte erwartet, dass Kris klein beigeben und sich zurückziehen würde. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass sie ihre Beleidigung vor diesem großen Publikum wiederholen würde.
Ich spürte, wie mir immer heißer wurde, wie mir die Farbe langsam den Hals hinauf zum Scheitel kroch, bis ich mir sicher war, dass die Röte, die mein Gesicht defigurierte (Wort aus dem Fremdwörterbuch, das »entstellen, verunzieren« heißt), auch auf meiner Kopfhaut zu sehen war.
Kris Parks hatte mich eine Schlampe genannt. ZWEIMAL. MITTEN INS GESICHT.
Ich musste etwas sagen. Ich konnte nicht einfach stumm vor ihr stehen. Vor allen stehen.
Ich holte gerade Luft, um etwas zu sagen – ich weiß nicht einmal, was es gewesen wäre –, als Catherine neben mir plötzlich sagte: »Nur zu deiner Information, Kris, das war alles ein Missverständnis, Sam hat gar nicht…«
Aber schon in dem Moment, in dem die Worte aus ihrem Mund kamen, wusste ich – ich wusste es einfach –, dass es nichts ändern würde, auch wenn es die Wahrheit war. Es ging gar nicht darum, ob ich mit David geschlafen hatte oder nicht.
Und es war Zeit, Kris das klarzumachen.
Also fiel ich Catherine einfach ins Wort und sagte: »Was gibt dir das Recht, andere so zu beschimpfen, Kris?«
Okay, das war wahrscheinlich nicht die schlagfertigste Entgegnung der Weltgeschichte, aber, hey, mir fiel nun mal nichts Besseres ein.
»Ich sag dir, was mir das Recht gibt«, erwiderte Kris und achtete dabei darauf, extra fortissimo zu sprechen (Wort aus dem Fremdwörterlexikon, das »sehr laut, äußerst stark und kräftig« bedeutet), damit sie in der ganzen Cafeteria gut zu verstehen war. »Du bist im Fernsehen aufgetreten und hast nicht nur den Präsidenten und die amerikanische Familie
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