Bleib für immer!: Roman (German Edition)
überwinden, sie anzusehen. Plötzlich fällt mir etwas anderes ein.
»Ich muss es Grace erzählen«, sage ich.
Mit Panik im Blick dreht sie mir das Gesicht zu.
»Tu das nicht. Bitte tu das nicht.«
»Sie ist meine beste Freundin, ich muss es ihr sagen.«
»Nein, nein, das kannst du nicht«, murmelt sie verzweifelt. »Sie hat zwei Kinder. Eine Familie. Wenn du es ihr erzählst, dann ist das der schnellste Weg, um das alles zu zerstören.«
Ich zögere und beiße auf meinen Nägeln herum.
»Aber wie um alles in der Welt könnte ich ihr das verheimlichen?«
»Damit würdest du nur dich selbst erleichtern. Wenn du es ihr erzählst, überstehen sie und Patrick nicht einmal dieses erste Jahr.«
»Jetzt plötzlich machst du dir Sorgen um sie und Patrick?« Das rutscht mir so heraus.
»Du kannst mich hassen, wie du willst«, sagt sie matt. »Aber das ist die Wahrheit.«
Wieder schweigen wir eine Weile.
»Ich hasse dich nicht, Charlotte«, sage ich dann. »Ich kann nur nicht fassen, dass das geschieht. Und ich weiß nicht, wie ich das vor Grace verheimlichen soll. Ich würde mich wie eine Komplizin fühlen.«
»Also gut, dann sag aber wenigstens morgen nichts. Nicht an Valentinas Hochzeitstag. Das würde alles ruinieren. Schlaf ein paar Mal darüber, dann wirst du erkennen, dass ich recht habe.«
Ich habe keine Ahnung, was zum Henker ich tun soll. Bei diesem Spiel mitzumachen widerstrebt mir zutiefst. Aber Charlotte hat zweifellos recht, dass Valentinas Hochzeit weder die richtige Zeit noch der richtige Ort ist.
»Gut, ein paar Tage«, beschließe ich. »Ich denke ein paar Tage darüber nach. Mehr kann ich dir nicht versprechen.«
»Okay«, sagt sie. »Gut.« Sie wischt sich die Augen.
»Eines habe ich allerdings immer noch nicht kapiert.« Ich wundere mich etwas, dass ich ihr das überhaupt erzähle. »Patrick benimmt sich schon seit lange vor der Hochzeit meiner Mutter komisch. Schon seit Monaten.«
Charlotte beißt sich auf die Lippe.
»In die Angelegenheit kann ich vielleicht etwas Licht bringen«, murmelt sie.
»Ach ja?«
»Darum drehte sich unser Gespräch. Unser langes Gespräch vor …«
»Nämlich? Komm schon, spuck’s aus.«
»Schon gut, schon gut.« Charlotte holt tief Luft. »Patrick hat seinen Job verloren.«
110
Grace und Patricks Wohnung, Samstag, 14. Juli
I CH WILL meinen BH anziehen«, heult Polly.
»Darfst du aber nicht, das weißt du genau«, erklärt Grace und holt mit der einen Hand ein Babygläschen aus der Mikrowelle, während sie sich mit der anderen die Haare kämmt. »Fünfjährige tragen keine BHs.«
»Ich wette, Evie zieht einen BH an«, erwidert Polly. »Stimmt’s, Evie?«
»Ja, schon«, sage ich. »Aber ich habe eine 75 B – und du nicht.«
Polly schmollt.
Wie üblich sieht es in Graces Küche so chaotisch aus, dass es weniger dem Kernstück eines Privathaushalts ähnelt als einem Schauplatz von Spiel ohne Grenzen .
Die Musik von Bob der Baumeister plärrt seit einer halben Stunde durch den Raum, während Grace im Galopp durch die Wohnung tobt und dabei Pollys Kleid bügelt, Fläschchen sucht sowie ausführliche Verhandlungen mit ihrer Mutter am Telefon darüber führt, ob Scarlett schon mit Messer und Gabel essen sollte oder nicht.
Grace pflanzt Scarlett in ihren Hochstuhl und beginnt, ihr eine Substanz in den Mund zu löffeln, die angeblich Linsenauflauf darstellen soll – wenn sie auch eher Ähnlichkeit mit etwas hat, was man morgens um zwei auf dem Bürgersteig vor einer Disco findet.
Als Patrick auf der Suche nach Schuhputzzeug hereinspaziert kommt, ertappe ich mich dabei, dass ich ihn im Lichte Charlottes gestriger Geständnisse prüfend mustere. Er wirkt ungefähr so glücklich, wie man es von jemandem erwartet, der heimlich arbeitslos ist und kürzlich volltrunken mit einer der ältesten Freundinnen seiner Frau geschlafen hat.
»Ich muss schon sagen, ich hätte nie vermutet, dass Valentina und Edmund am Ende ein Paar würden. Du etwa?«, sagt Grace zu Patrick in der Hoffnung, er könnte vielleicht antworten.
»Hmm.« Er zuckt die Achseln und zieht ein Tuch aus dem Schrank unter der Spüle.
Als Trauzeuge ist Patrick bereits in zwanzig Minuten in der Wohnung des Bräutigams verabredet. Aus meiner Sicht ist das keine Minute zu früh: Schon allein mit ihm und Grace im selben Raum zu sein und zu wissen, was ich weiß und sie nicht, macht mich nervös.
»Gott weiß, was für eine Ehe das wird«, verfolgt Grace das Thema weiter. »Ich
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