Bleib ungezaehmt mein Herz
zunichte, aber...«
»Nicht unbedingt«, erwiderte ihr Bruder. »Wir werden uns einen neuen Plan überlegen. Aber im Moment mußt du erst mal zur Ruhe kommen. Wir werden gleich morgen früh eine Unterkunft für dich suchen.« Er stellte sein Glas ab. »Du kannst das Schlafzimmer haben. Ich werde auf dem Sofa schlafen.«
»Nein, es macht mir nichts aus, hier zu schlafen.«
»Ach, Ju, nun hör schon auf. Abgesehen von der Tatsache, daß du dich nicht gut fühlst, gibt es keinen Grund, dich in meiner Gegenwart so nervtötend selbständig aufzuführen. Du schläfst im Bett, und ich werde rundherum zufrieden auf dem Sofa sein. Wir haben im Laufe der Jahre schon mit wesentlich unbequemeren Schlafstellen vorliebnehmen müssen.«
Judith lächelte ihn um Verzeihung bittend an. »Entschuldige. Ich kann heute nacht anscheinend keinen klaren Gedanken mehr fassen.«
Er lächelte und küßte sie auf die Wange. »Überrascht mich nicht sonderlich.«
Judith folgte ihm ins Schlafzimmer. »Es ist möglich, daß Marcus irgendwann an deine Tür klopft.«
»Sogar mehr als wahrscheinlich, würde ich sagen.« Er lächelte trocken. »Er kann kaum so tun, als hättest du niemals existiert.«
»Nein, aber ich nehme an, er wünschte, er könnte es.«
Sebastian schüttelte den Kopf. »Ich gebe zu, im Moment sieht es schlimm aus, aber die Dinge können sich auch wieder ändern.«
»Ich kann nicht mehr zurück«, sagte Judith, die Bettdecke zurückschlagend.
»Nein«, sagte er in neutralem Ton. »Das geht wohl nicht.« Er nahm ihre Hände. »Du bist völlig am Boden zerstört, Liebes. Aber wir werden uns schon etwas einfallen lassen.«
»Natürlich werden wir das. Das gelingt uns doch immer«, pflichtete sie mit einer Überzeugung bei, die sie nicht wirklich fühlte. Sie küßte ihn auf die Wange. »Danke.«
»Schlaf gut.«
Judith kroch ins Bett, und trotz ihrer Verzweiflung und Mutlosigkeit fiel sie augenblicklich in den tiefen Schlaf völliger emotionaler Erschöpfung.
21. Kapitel
Marcus schlief unruhig in dieser Nacht und wachte in sehr niedergedrückter Stimmung auf. Eine Weile blieb er in dem breiten Bett liegen und grübelte über die trostlosen Aussichten seiner Ehe nach. Nach einer so erbitterten Auseinandersetzung, nach all den Dingen, die ausgesprochen worden waren, sah er von nun an keine andere Möglichkeit mehr für ihre Beziehung als einen frostigen Waffenstillstand. Er wußte, er würde Judith ständig irgendwelcher hinterhältiger Motive verdächtigen, irgendwelcher Strategien, um ihn auszunutzen. Niemals mehr würde er fähig sein, ihren Reaktionen oder ihren Gefühlen zu trauen... noch nicht einmal mehr im Bett. Und er würde sie wie ein Habicht beobachten, würde jeden ihrer Schritte argwöhnisch überwachen. Judiths erbitterter Widerstand würde sein Mißtrauen nur noch weiter anheizen. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gab.
In der grauen, tristen Morgendämmerung erhob Marcus sich aus dem Bett und tappte leise zur Verbindungstür. Der Knauf ließ sich drehen, doch die Tür war abgeschlossen. Es überraschte ihn nicht, und dennoch ärgerte es ihn. Von jetzt an verlangte er, daß Judiths Leben seiner Kontrolle jederzeit zugänglich war, und verschlossene Türen würde er nicht dulden.
Er ging auf den Flur zur äußeren Zimmertür. Diese öffnete sich zwar, das Zimmer war jedoch leer, als er eintrat. Einen Moment lang stand Marcus ungläubig starrend da, versuchte, seine wild durcheinanderpurzelnden Gedanken und einen plötzlichen Morast von Gefühlen zu ordnen, die er noch nicht benennen konnte. Das Bett war offensichtlich nicht benutzt, Schubladen waren herausgezogen, ihr Inhalt zerwühlt, als hätte jemand in aller Eile darin herumgekramt. Der Schrank stand offen; Judiths Haarbürsten lagen nicht mehr auf dem Frisiertisch.
Sie war gegangen. Zuerst gab die krasse Erkenntnis keinen Sinn. Sein Verstand konnte die Tatsache, daß Judith ihn verlassen hatte, nicht begreifen. Marcus klammerte sich an das erste, was ihm einfiel, an den am leichtesten faßbaren Aspekt: die öffentlichen Konsequenzen einer solchen Handlung. Die Antwort darauf war ebenso simpel: Neue Wut stieg in ihm auf. Wie konnte Judith es wagen, einfach auf und davon zu gehen? Ihn in eine solche Lage zu versetzen? Wie sollte er den Dienern die Nacht-und-Nebel-Aktion seiner Frau erklären? Wie sollte er Judiths Abwesenheit dem Rest der Welt erklären? Es war ein Akt feigen Ausweichens, etwas, was er von Judith niemals erwartet
Weitere Kostenlose Bücher