Bleib ungezaehmt mein Herz
hinauf in ihr Schlafzimmer lief, wo sie sich auf ihrem Bett ausstreckte - mit in Hamamelis getränkten Wattebäuschen auf den Lidern und einem wilden Wirbel von Spielkarten vor ihrem inneren Auge.
Gracemere begleitete Agnes Barret kurz nach zehn Uhr an diesem Abend zum Devonshire House. Sie waren relativ früh da, aber nicht unpassend früh, und verbrachten eine Stunde damit, durch die Salons zu schlendern. Sie tanzten zweimal, dann wurde Agnes von einem schnauzbärtigen Bekannten ihres kränklichen Ehemannes mit Beschlag belegt. »Ich werde dir dann später mit Genuß dabei zuschauen, wie du dein Hühnchen rupfst«, sagte sie leise zu Gracemere, als sie sich trennten. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln voll boshafter Erwartung, und ihre kleinen weißen Zähne blitzten flüchtig auf. Gracemere beugte sich über ihre Hand.
»Ein solches Publikum kann einer ohnehin schon köstlichen Aussicht nur noch mehr Würze verleihen, Madam.«
»Ich hoffe, du wirst auch noch ein anderes Publikum haben«, murmelte sie.
Gracemeres blasse Augen verengten sich unversöhnlich.
»Die Schwester ebenfalls ? Ja, Madam, das hoffe ich doch. Es wird der Würze zusätzlichen Geschmack verleihen.«
»Hoffen wir nur, daß sie sich nicht wieder erbrechen muß.« Agnes' leises Lachen war so bösartig wie ihr Lächeln einen Moment zuvor, und sie ging am Arm ihres Partners davon.
Gracemere blickte sich in dem sich schnell füllenden Salon um. Von Sebastian Davenport war noch nichts zu entdecken, aber er sah Judith mit Isobel Henley und deren Gesellschaft hereinkommen, und seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich. Seit dem Fiasko in der Jermyn Street hatte er den Umgang mit Judith auch weiterhin gewissenhaft gepflegt, allerdings immer außerhalb Marcus' Sichtweite. Sein Motiv war jetzt einfach. Die geliebte Schwester würde den Ruin ihres Bruders miterleben. Judith würde in ohnmächtigem Entsetzen leiden, während sie Zeugin der Zerstörung ihres Bruders wurde, und der Earl hätte dadurch eine kleine Genugtuung als Entschädigung für die schreckliche Verlegenheit, in die sie ihn gebracht hatte. Marcus würde durch die öffentliche Demütigung seines Schwagers tief in seinem Stolz getroffen werden, und Gracemere und Agnes würden Harriet Moreton und ihr Vermögen bekommen.
Der Earl bahnte sich einen Weg zu Judith. »Bezaubernd, wirklich höchst bezaubernd«, murmelte er, ihre Hand an seine Lippen hebend. Seine Bewunderung war echt. Smaragde glitzerten in Judiths rotbraunem Haar und um ihren schlanken weißen Hals. Ihr Abendkleid aus goldenem Tüll über kupferfarbener Seide war verblüffend ungewöhnlich und brachte wundervoll den Farbton ihrer Haare zur Geltung.
»Schmeichler«, sagte sie und schlug ihm spielerisch mit dem Fächer auf die Hand. »Ich muß allerdings gestehen, daß ich gegen Schmeicheleien nicht immun bin, Mylord, also machen Sie ruhig weiter.«
Er lachte und führte sie auf die Tanzfläche. »Ihr Gatte ist heute abend nicht mitgekommen?«
»Leider nicht«, sagte sie mit einem spöttischen Seufzer. »Ein Regimentsessen hat ihn abgehalten.«
»Wie günstig.« Ein Lächeln spielte um seine Lippen, und Judith wurde plötzlich ganz beklommen zumute. »Ihren Bruder sehe ich auch nirgendwo.«
»Oh, ich bin ganz sicher, er wird später noch kommen«, erwiderte sie. »Er wollte erst noch mit Freunden essen.«
»Wir sind zu einem Treffen am Kartentisch verabredet«, erklärte ihr der Earl immer noch lächelnd. »Wir tragen einen Kampf aus.«
»O ja, das hat Sebastian mir schon erzählt. Ein Piquetduell.« Sie lachte. »Ich sollte Sie warnen, Bernard. Sebastian ist fest entschlossen, heute abend zu gewinnen. Er sagte, er hätte gestern hoch verloren und müßte seine Verluste wieder wettmachen, wenn er nicht völlig bankrott gehen wollte.« Sie lachte perlend, als wäre die Vorstellung einfach absurd, und Gracemere gestattete sich ein Schmunzeln als Antwort.
»Ich bin höchst begierig, ihm Revanche zu bieten. Darf ich hoffen, daß seine wunderschöne Schwester mir zur Seite stehen wird?«
»Nun, was das betrifft, Sir, so könnte man es mir als Illoyalität ankreiden, wenn ich den Gegner meines Bruders begünstige«, sagte sie schelmisch. »Aber ich werde ein unparteiisches Interesse zeigen. Ich gebe zu, es ist mir ein großes Vergnügen, zwei so fähige Spieler im Kampf miteinander zu beobachten.« Sie beugte sich vor und meinte fast schuldbewußt: »Trotzdem bin ich fest überzeugt, daß Sie der Gewieftere sind,
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