Bleib ungezaehmt mein Herz
Bernard.«
»Na, na, jetzt sind Sie aber der Schmeichelei überführt, Madam«, meinte Gracemere mit kaum verhülltem Spott. Zum Glück schien Judith die Ironie nicht zu hören.
»Aber Sie haben doch schließlich gestern abend gewonnen«, erklärte sie sehr ernst. »Andererseits... vielleicht hatte Sebastian nur schlechte Karten. Es macht immerhin einen Unterschied.«
»Oh, aber natürlich«, sagte er. »Es macht einen Riesen-unterschied, meine liebe Judith. Hoffen wir, daß das Glück Ihrem Bruder heute abend hold ist... nur des Ausgleichs wegen, Sie verstehen.«
»Ja, natürlich.« Die Musik brach ab, und der Earl war gezwungen, Judith einem anderen Tanzpartner zu überlassen ... jedoch nicht ohne sie an ihr Versprechen zu erinnern, später ins Kartenzimmer zu kommen. Judith stimmte mit strahlendem Lächeln zu und nahm dann ihren Platz im Kotillon ein. So weit, so gut.
Als Sebastian eintraf, war er bester Dinge; er begrüßte gutgelaunt Freunde und Bekannte, war seiner Gastgeberin gefällig, indem er mit mehreren unglücklichen Damen tanzte, die keinen Partner hatten, bediente sich freimütig mit Champagner und benahm sich im allgemeinen wie alle anderen jungen Männer.
Zu seiner Erleichterung und Harriets kaum verhülltem Kummer hatte Harriet keine Einladung zum Ball erhalten. Es war ihre erste gesellschaftliche Saison, und sie war noch zu jung und unbekannt, um sich unweigerlich in den ersten Kreisen zu bewegen. Sobald Sebastian ihr seinen Antrag gemacht hätte und ihre Verlobung mit dem Schwager des Marquis von Carrington öffentlich bekannt wäre, würde sich das ändern, versicherte Letitia ihr. Doch dies war nur ein schwacher Trost für Harriet, die den Abend pflichtbewußt mit ihrer Mutter verbrachte.
Es war schon nach Mitternacht, als Sebastian und Gracemere sich im Kartenzimmer trafen. Judith wartete auf den Moment, als sie beide von der Tanzfläche verschwanden. Sie hatten ausgemacht, daß sie selbst erst am Tisch erscheinen würde, nachdem Sebastian und sein Gegner eine Weile gespielt hatten. Sebastian würde bis zu diesem Zeitpunkt ein Gewinnsystem entwickelt haben, und sie nahmen an, Gracemere wäre dann soweit, Zuflucht zu markierten Karten zu nehmen.
Fast eine Stunde lang tanzte Judith weiter, unterhielt sich, lächelte. Sie speiste zu Abend, trank Champagner und zwang sich, alle Gedanken an das, was im Kartenzimmer passierte, zu verdrängen. Wenn alles nach Plan lief, würde Bernard Melville sich inzwischen fragen, was eigentlich mit ihm geschah.
Um ein Uhr bahnte Judith sich einen Weg ins Kartenzimmer. Sie bemerkte sofort, daß etwas Ungewöhnliches im Gang war. Obwohl an verschiedenen Tischen Hasard, Faro, Makao und Basset gespielt wurde, herrschte eine deutlich spürbare Atmosphäre der Nervosität. Blicke wanderten häufig zu einem kleinen Tisch in einer Nische, wo zwei Männer Piquet spielten.
Judith durchquerte den Raum. »Ich bin gekommen, um mein Versprechen zu halten, Mylord«, sagte sie heiter.
Gracemere blickte von seinen Karten auf, und sie erkannte den Ausdruck in seinen Augen. Es war die ruhelose Besessenheit eines Mannes im Rausch des Kartenspiels. »Das Glück Ihres Bruders hat sich gewendet, wie es scheint«, sagte er und räusperte sich.
Judith sah den Stapel von Jetons neben Sebastians Platz. Der Earl hatte also noch keine Schuldscheine ausstellen müssen. Sie stellte sich zwanglos hinter Gracemeres Stuhl.
Gracemere war sich zu seiner großen Verwirrung bewußt, daß der Mann, mit dem er spielte, nicht der Mann war, für den er ihn ursprünglich gehalten hatte. Davenports Gesicht wies keinerlei Gefühlsregung auf, er schwieg fast die ganze Zeit, und wenn er sprach, dann geschah es mit brüsker Präzision. Der einzige Teil seines Körpers, den er zu bewegen schien, waren seine langen, feingliedrigen Hände.
Zu Anfang schob der Earl seine Verluste noch auf die ungünstige Verteilung der Karten. Als ihm etwas später der Gedanke kam, es müsse mehr dahinterstecken, tat er die Vorstellung als unsinnig ab. Er hatte oft genug mit Sebastian Davenport gespielt, um zu wissen, daß er kein besonders geschickter Spieler war. Sicher, gelegentlich hatte er gewonnen, manchmal auf irritierende Weise, aber schließlich hatten selbst schlechte Spieler ab und zu Erfolg. Als Gracemeres Verluste Zunahmen, ging ihm die Lächerlichkeit des Ganzen mit Macht auf. Er erhöhte seinen Einsatz, überzeugt, in wenigen Minuten würde sich das Blatt wieder zu seinen Gunsten wenden - das tat es
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