Bleib ungezaehmt mein Herz
niedergelassen.«
Judith ließ sich auf die Holzbank am Tisch fallen, von Erschöpfung so überwältigt, daß sie noch nicht einmal mehr die Energie aufbringen konnte, in die Nähe des Feuers zu gehen. Charlie murmelte eine Entschuldigung und eilte wieder in den Regen hinaus, um sich seinem Regiment anzu-schließen. Jemand schob Judith einen Zinnbecher mit Wein zu, und sie vergrub ihre Nase mit einem dankbaren Aufseufzen darin. Wie schon in der Nacht zuvor wurde ihre Anwesenheit ganz selbstverständlich akzeptiert. Es überraschte sie jetzt nicht mehr sonderlich, da sie an diesem Tag mehrere Frauen getroffen hatte, die neben ihr im Lazarettzelt arbeiteten, alle Ehefrauen von Soldaten, alle daran gewöhnt, den Trommeln zu folgen und die gleichen Entbehrungen wie die Armee zu ertragen, während sie hinter den Linien auf ihre Männer warteten. Daß Lord Carringtons Gattin es vorzog, das gleiche zu tun, war vielleicht etwas bemerkenswerter, aber die Stellung des Marquis' als ziviler Berater in Wellingtons Stab war ja auch etwas ungewöhnlich.
Marcus kam wenige Minuten später herein, schüttelte Wasser von seinem Mantel und warf seinen durchweichten Biberhut auf eine Bank. »Es regnet in Strömen«, sagte er. »Die Straßen sind überschwemmt, und das Feld ist ein einziges Schlammbad.« Er erblickte seine Frau und kam schnell zum Tisch herüber. »Wie geht es dir?«
»Ich triefe«, erwiderte sie müde lächelnd. »Aber sonst geht es mir gut. Mir wird es sogar noch besser gehen, wenn ich noch einen Becher Wein bekomme.«
»Sei vorsichtig«, warnte er sie, griff nach der Weinflasche und füllte ihren Becher. »Erschöpfung und Wein sind eine teuflische Kombination. Hast du etwas gegessen?«
»Noch nicht. Ich glaube, ich bin einfach zu müde dazu.«
»Du mußt essen. Danach bringe ich dich in die Kammer, die ich habe ergattern können, und du kannst dir diese nassen Sachen ausziehen.«
Judith spielte mit einem kalten Hammelkotelett herum und lauschte auf die Unterhaltung. Marcus saß neben ihr auf der Bank und legte einen Arm um sie, als ihr Kopf auf seine Schulter sank. Ihre Kleider trockneten ein wenig in der dampfenden Wärme des überfüllten Raums, und sie nippte schläfrig an ihrem Wein, während sie versuchte, der Diskussion zu folgen. Alles schien von den Preußen abzuhängen. Konnten sie ein Bataillon zur Verstärkung herschicken? Wenn nicht, dann wäre Wellingtons Armee den Franzosen auf der anderen Seite des Hügels zahlenmäßig erschreckend unterlegen.
Die Atmosphäre im Raum war zu gespannt, als daß Judith den Wunsch gehabt hätte, ins Bett zu gehen, und sie schüttelte den Kopf, als Marcus vorschlug, ihr die Kammer zu zeigen, die er in einem kleinen Landhaus auf der anderen Seite des Hofes gefunden hatte. Um drei Uhr in der Frühe stürzte ein völlig durchnäßter Bote zur Tür herein und überbrachte endlich die Nachricht, auf die alle gewartet hatten. Im Morgengrauen würden zwei Bataillone der preußischen Armee von Wavre aus gegen Napoleons rechte Flanke vorrücken.
»Doppelt so gut, wie wir gehofft hatten!« rief Peter Wellby.
Marcus legte einen Zirkel an seine Landkarte an. »Es sind zehn Meilen von Wavre bis Waterloo, und bei diesem schrecklichen Wetter und den schlammigen Straßen werden sie nur langsam vorankommen. Ich denke, sie sollten gegen Mittag hier sein.«
»Wenn die Franzosen noch vorher angreifen, werden wir die Stellung halten müssen, bis die Preußen hier ankommen«, sagte der Herzog.
Dennoch breitete sich neue Zuversicht in dem Raum mit der niedrigen Balkendecke aus, und die Männer erhoben sich von den Tischen, um wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, bevor der Angriff eröffnet wurde.
»Komm, Judith.« Marcus schob ihren Kopf von seiner Schulter und stand auf, während er Judith mit hochzog. Sie gehorchte bereitwillig, stolperte leicht, als er sie in den Sturm hinausführte, über den schlammigen Stallhof und sie dann unter das niedrige Strohdach des kleinen Hauses schob.
Männer lagen schlafend auf dem Lehmfußboden, und Judith trat behutsam über sie hinweg, als Marcus ihr mit einem Finger auf den Lippen bedeutete, leise zu sein. Sie kletterten eine wacklige Treppe hinauf und traten in eine winzige Schlafkammer, in der es nach Äpfeln und Heu duftete. Auf einem geflochtenen Bettrahmen lag eine Strohmatratze, mit einer Wolldecke bezogen. Für Judith hätte der Anblick in diesem Moment nicht luxuriöser sein können.
»Rechnen die Franzosen mit der
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