Bleib ungezaehmt mein Herz
die Garderobe Seiner Lordschaft mit liebevoller Sorgfalt wieder auf Bügel gehängt hatte. »Wenn Sie es sagen, Mylord«, fügte er hölzern hinzu.
»Ganz richtig«, bekräftigte Marcus mit einem leichten Lächeln. Cheveley fühlte sich jedesmal ernsthaft in seiner sensiblen Würde beleidigt, sobald sein Brotgeber auch nur andeutungsweise fallenließ, daß er ohne ihn zurechtkom-men würde. »Bei Ihrem schlimmen Husten sollten Sie besser einen Grog trinken und früh zu Bett gehen, guter Mann.«
Cheveleys magere Wangen röteten sich, und seine steife Förmlichkeit fiel einen Moment von ihm ab. Seine Lordschaft war ein rücksichtsvoller und gerechter Arbeitgeber, der Anzeichen von Unzufriedenheit oder Krankheit sofort bemerkte und entsprechend schnell handelte. »Das ist zu freundlich von Ihnen, Mylord. Aber in ein oder zwei Tagen bin ich wieder so gesund und munter wie ein junges Fohlen.«
»Ja, davon bin ich überzeugt. Aber Sie werden mit der schwachen Brust doch kein Risiko eingehen wollen. Lassen Sie das jetzt liegen und sehen Sie zu, daß Sie ins Bett kommen.«
Marcus wartete, bis der Kammerdiener das Zimmer verlassen hatte, dann öffnete er die Tür zu den Räumen seiner Frau. Judith saß am Frisiertisch und schaute kritisch im Spiegel zu, wie Millie ein goldfarbenes Samtband durch ihre Locken schlang.
»Guten Abend, Mylord.« Der Form halber lächelte Judith Marcus im Spiegel flüchtig zu, drehte sich jedoch nicht um, um ihn zu begrüßen.
»Guten Abend, Judith.« Er setzte sich in einen Samtsessel neben das prasselnde Kaminfeuer. Millie beschäftigte sich jetzt mit der Reihe winziger Knöpfe auf den engen Ärmeln des Abendkleids aus blaßgrünem Crepe de Chine. Eine Nuance, die wundervoll zu Judiths lebhaften Farben paßte, wie Marcus feststellte. Die schmale Seidenkordel um ihre Taille betonte ihre schlanke Figur.
»Wolltest du mich sprechen?« fragte Judith nach einer Weile und überlegte, was ihn wohl in ihr Schlafzimmer geführt hatte. Im Augenblick herrschte kaum herzliche Übereinstimmung zwischen ihnen.
»Nicht wegen irgend etwas Besonderem,« antwortete er und fügte dann, ohne zu überlegen, hinzu: »Das ist ein entzückendes Kleid.«
Judiths Miene verriet Verblüffung. Sie blinzelte und entließ die Kammerzofe. »Danke, Millie, das genügt vollauf. Sie können gehen.«
Die Zofe knickste und verließ den Raum. Judith drehte sich auf ihrem Hocker um und betrachtete ihren Ehemann prüfend von oben bis unten. Er war wie immer gepflegt und geschmackvoll gekleidet in schwarzseidenen Kniehosen und weißer Weste. Sein einziger Schmuck bestand aus der mit Diamanten besetzten Krawattennadel und dem schweren goldenen Siegelring. Sein schwarzes Haar war a la Brutus in die Stirn gebürstet, und seine ebenholzfarbenen Augen blickten leicht ungehalten, die Mißbilligung schien sich jedoch nicht auf sie, Judith, zu beziehen.
»Habe ich richtig gehört?« fragte sie mit hochgezogenen Brauen. »Du hast dich lobend über mein Kleid geäußert? Nun, das ist ja erfreulich. Es kann nämlich gut sein, daß du es während der nächsten Jahre noch bei einer ganzen Reihe von Gelegenheiten zu sehen bekommst. Ich werde es tragen, bis es mir in Fetzen vom Leib hängt. Das ist es doch, was du beabsichtigst, nicht wahr?«
»Sei nicht albern«, erwiderte Marcus. Er war mit dem vagen Vorsatz gekommen, Frieden zu schließen, aber es sah nach vergeblicher Liebesmüh aus. »Du weißt sehr gut, daß ich heute nachmittag nichts dergleichen gemeint habe. Dein Taschengeld wird mehr als großzügig bemessen sein.«
Judith wandte sich wieder zum Spiegel um. »Ich muß schon sagen, deine Freundlichkeit überwältigt mich, mein Lieber.« Sie glättete mit dem angefeuchteten Zeigefinger ihre fein geschwungenen Brauen, während sie um Selbstbeherrschung rang. Ein erneuter Wutausbruch würde sie nur aus dem Gleichgewicht bringen, und sie brauchte heute abend einen kühlen Kopf, um für Sally zu gewinnen.
Marcus seufzte und setzte dann zu einem neuen Versuch an. »Ich dachte, ich begleite dich heute abend zum Cavendish House.« Judith wußte, wie groß seine Abneigung gegen derartige gesellschaftliche Unternehmungen war; sie würde sein Opfer also sicher als das Friedensangebot begreifen, als das es gemeint war.
Er hatte erwartet, sie überrascht und erfreut zu sehen. Auf das flüchtige Aufblitzen des Erschreckens in ihren Augen war er nicht vorbereitet gewesen. Sie faßte sich aber sofort wieder, und in ihre Augen trat ein
Weitere Kostenlose Bücher