Bleib ungezaehmt mein Herz
Ausdruck, der verdächtig nach Berechnung aussah.
»Welch galante Geste, Mylord. Allerdings völlig unnötig.« Sie lachte hell und fuhr fort, ihr Spiegelbild kritisch zu mustern. »Es wäre eine sichere Methode, mir den Abend zu verderben... aber vielleicht war das ja deine Absicht.«
»Ich bitte um Entschuldigung, Ma'am.« Er stand auf, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepreßt. »Selbstverständlich hatte ich nicht vor, dir den Abend zu verderben. Verzeih mir.«
Judith zögerte. Sie drehte sich halb auf ihrem Hocker herum. »Ich wollte damit nur sagen, daß ich den Abend nicht genießen könnte, weil ich weiß, wie sehr du dich langweilen würdest.«
Sie wandte sich wieder zu ihrem Frisiertisch um und begann, herumliegende Haarnadeln in eine Schachtel zu räumen. »Keiner deiner Freunde wird da sein, und meine werden dich nicht amüsieren.«
Sie legte einfach keinen Wert auf seine Gesellschaft, das war's! Marcus verbeugte sich und sagte kühl: »Wie du willst. Ich bin sicher, du weißt es am besten.« Er kehrte in sein eigenes Zimmer zurück, ohne ihr auch nur einen Blick zuzuwerfen.
O Gott, dachte Judith elend. Ganz sicher sollte selbst eine erzwungene Ehe nicht auf so völlig kalte, trostlose Weise geführt werden. Sie und Marcus waren einfach die falschen Leute, um sich in gegenseitiger Gefangenschaft aneinanderzuketten. Je eher sie ihn wieder verließe, desto besser.
Es war nach zwei Uhr in der Früh, als eine Mietkutsche in der Pickering Street vor dem Haus Nummer sechs anhielt. Sebastian sprang heraus und half seiner Schwester beim
Aussteigen. Judith strich ihr Cape aus Goldtaft glatt und rückte den gerüschten Musselinkragen zurecht, dann blickte sie an dem hohen, schmalen Haus hinauf. Dies also war die Londoner Variante der etwas vornehmeren Spielhöllen. Judith hatte solche Orte schon in fast sämtlichen Hauptstädten des Kontinents besucht und war mehr als nur ein bißchen neugierig, herauszufinden, was London in dieser Hinsicht zu bieten hatte.
Ein livrierter Diener ließ sie ein, nahm ihre Umhänge entgegen und führte sie eine schmale Treppe hinauf in eine quadratische Vorhalle. Drei hell erleuchtete Salons zweigten von der Halle ab, alle gedrängt voll mit Männern und Frauen in Abendkleidung. Diener mit Tabletts voller Gläser eilten dazwischen hin und her. Über dem relativ gedämpften Murmeln der Unterhaltung konnte man die Stimmen der Croupiers hören, die die Einsätze an den Spieltischen ansagten.
Judith schaute zu Sebastian auf, und er grinste in vollkommenem Einverständnis auf sie herunter. Hier fühlten sie sich zu Hause.
»Oh, Mr. Davenport, ich bin entzückt, daß Sie uns die Ehre geben! Und Lady Carrington...« Amelia Dolby schwebte von einem der Quinzetische auf sie zu. Sie muß über sechzig sein, dachte Judith, und daran ändern auch das Rouge, die übertrieben jugendliche Frisur und das halbtransparente Abendkleid nichts. Amelia Dolby, eine Frau mit harten Gesichtszügen und stechenden Augen, begrüßte Judith mit dem Piranhalächeln einer Berufsspielerin, die ein neues Opfer willkommen heißt. Judith war schon oft in ihrem Leben auf diese Weise angelächelt worden und revanchierte sich mit ihrer ausdruckslosen Miene. Während der nächsten Stunden würde ihr Gesicht eine Maske sein, die nichts enthüllte.
»Was ist Ihr Spiel, Lady Carrington?« wollte Amelia Dolby wissen. »Hasard vielleicht?«
Judith schüttelte den Kopf. Sie und Sebastian beschäftigten sich nur zum Vergnügen mit Würfelspielen; es gab einfach keine Möglichkeit, die Elemente des Zufalls mit Geschicklichkeit und Taktik in den Griff zu bekommen. Nur ein Narr würde sich ernsthaft auf pures Glück verlassen. »Ich bin mir nicht sicher. Was spielst du, Sebastian?«
»Ich denke, ich versuche es mal am Quinzetisch«, antwortete er beiläufig und befestigte seine weiten, gerüschten Manschetten mit schwarzen Samtbändern, damit sie ihm beim Spielen nicht über die Hände fielen.
»Dann werde ich Makao spielen.« Sie spielten niemals am selben Tisch, um den Sinn und Zweck der Übung nicht zu gefährden.
Amelia Dolby führte Judith zum Makaotisch und stellte sie den anderen Spielern vor. Judith kannte einige von ihnen schon flüchtig. Es waren alles abgehärtete Glücksspieler, und sie akzeptierten Judith in ihrer Mitte mit der selbstverständlichen Annahme, auch sie sei den Karten und Würfeln hoffnungslos verfallen. Sie wäre nicht hier, wenn sie nicht in der Lage wäre, um hohe Einsätze zu
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