Bleib uns gesund und behalt uns lieb 01: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
und ich will meine Post gern in Ruhe lesen. So habe ich am Nachmittag alles mit in den Garten genommen, habe mich dort erst mal eine Viertelstunde ins Stühlchen gesetzt und meine Post in Ruhe gelesen, ehe es ans Erdbeerpflücken ging. Gegen Abend kam auch Vater mal gucken raus. Heidi war mit Mutter spazieren, und als sie heimkamen, hatten sie keine Schlüssel mit. Heidi hat dann bei Schramms zu Abend gespeist, und dann hat Mutter mit Heidi bei Burmanns gewartet und von 9 Uhr ab oben vor der Tür, denn Mutter wußte nicht, daß Vater in den Garten war. Um 10 Uhr kam er glücklich zu Hause an und ich erst um 11 Uhr. Heidi hat sich bei der Warterei sehr brav gehalten und gar nicht geheult. Sie ist eben doch meine Tochter. Wie war es denn in Hagen? Und wie lange seid Ihr dort gewesen. Hoffentlich habt Ihr nicht gar zu viel von Fliegerangriffen gespürt, denn gerade die Tage waren sie ja in Wuppertal und muß es ganz furchtbar gewesen sein. Die Leute sollen nackt auf der Straße gelaufen sein, weil der Feind Phosphorbomben geworfen hat, und auch ins Wasser sollen sie gesprungen sein. Die Zahl der Toten will ich gar nicht wissen, sie muß unheimlich hoch sein. Es ist doch furchtbar, und kann man sich gar nicht ausmalen. Ob denn das noch lang gehen kann? Wie sollen die Menschen das bloß aushalten? Jeden Abend danke ich Gott, daß wir noch unser Bett und ein Dach über dem Kopf haben, aber wer weiß auch wie lange. Ich möchte jetzt mal einen Koffer mit ein bissel Wäsche fertig machen und nach Saaz schicken. Was meinst Du dazu? Damit man im Ernstfall nicht alles einbüßt. Wenn man daran denkt, kommt man gar nicht darüber hinweg. Eben singen sie im Radio Tonfilmlieder .... ‘Einen wie Dich könnte ich lieben’. Vater wollte durchaus ‘Tristan und Isolde’ hören. In dieser Zeit ausgerechnet ‘Tristan und Isolde’, kommt ja gar nicht in Frage, das soll Vater ruhig hören, wenn er allein ist. Dein Paket ist auch am Donnerstag angekommen und habe ich den kleinen Kram schon verkauft. Sag, gibt es noch mehr solchen Stoff, besonders Herrenstoff? Der Stoff ist nämlich gar nicht so verkehrt und kann ich ihn mit einem ganz schönen Gewinn verkaufen. Vater möchte auch gern einen Stoff und auch Onkel Max. Sobald ich habe, schicke ich Dir das Geld, nein ich werde es schon morgen schicken, wenn ich morgen Dein Gehalt bekomme, werde ich es einstweilen vorlegen. Wenn man nur wüßte, wie es mit Deinem Urlaub ist, damit das Geld nicht unnütz in der Welt rumgondelt. Weißt Du immer noch nichts? Du, als ich am Donnerstag früh Heidi zum Baden holen wollte, war das Bett leer. Ich habe sie zwar in mein großes Bett gelegt weil sie schon eine ganze Weile munter war. Na, ich kann Dir sagen, ich war nicht wenig erschrocken, und dann steckte sie unter unseren großen Betten und zankte dort wie ein Rohrspatz, weil sie dort nicht aufstehen konnte. Eine halbeStunde später, als sie auf ihrem Töpfchen saß, langte sie zwischen den Beinen durch, holte sich eine Wurst raus und knatschte sie in ihrer Hand rum. Man kann nicht genug aufpassen. Dann wieder eine halbe Stunde später, als sie in ihrem Bettchen war, stellte sie sich plötzlich auf Kalle und bullte den voll. So ein Schweinchen, was? Ja, das ist Deine Tochter! Für heute will ich mal wieder aufhören. Mittwoch, Donnerstag gehen wir auch mal wieder ins Waschhaus und kannst Du an uns denken. Am Mittwoch Nachmittag dann nochmals die letzten Erdbeeren ernten. Also wenn Du noch was davon haben willst – komm!
Für heute eine gute Nacht mein Strolch, hoffentlich können wir schlafen, behalt uns weiter lieb und nimm 1000 liebe Grüße und einen Kuß
Von Deiner Lenifrau und Heidikind.
Grüße von allen!
O.U., den 27.6.43
Meine liebe kleine Lenifrau!
Heute früh hatten sich ja allerhand briefliche Gratulanten eingestellt, Du, die Eltern, Helenchen und der Meester, Schramms und Elli, alle hattet Ihr an mich gedacht und hab ich von 7 bis 8.30 Uhr in Ruhe Kaffee getrunken und mit vieler Freude all diese Post gelesen. Bis auf Mutters Brief, der heute Mittag ankam, war alle andere Post schon da, als ich Sonnabend früh von der Dienstreise zurückkam, aber es hätte nicht Deiner Karte bedurft, die Post hätte ich, obwohl ich sehr auf den Brief von Dir wartete, erst heute gelesen, da ich am Sonnabend vom Eintreffen früh
9 Uhr bis abends 11 Uhr ununterbrochen zu tun hatte und dann überhaupt nicht mehr aufnahmefähig war und den Kanal bis oben voll hatte. Nun kleine Frau, danke
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