Bleib uns gesund und behalt uns lieb 01: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
Einreise nach dem Reich.
Dir, kleine Frau, wieder recht viele liebe Grüsse und Küsse und denk recht oft an Deinen
Dichliebenden Hans.
Leipzig, am 22.Juni 1943
Mein lieber alter Strolch!
Da sitze ich nun, und mühe mich Dir einen anständigen Geburtstagsbrief zu schreiben, und ich muss sagen, es fällt mir ein bissel schwer. Viel viel lieber hätte ich Dich hier, würde Dir alle guten Wünsche an den Hals schmeißen, Dir einen herzhaften Kuß geben, und dann wär die Sache erledigt. Na, will ich mir mal Mühe geben, obwohl drüben ein Star ganz herzhaft seine Melodie rausschmettert und mich ganz aus dem Konzept bringt. Ja, kleiner Mann, da wünsche ich Dir nun von ganzem Herzen alles alles Gute, dauernde gute Gesundheit, das ist die Hauptsache, mögen alle Deine Wünsche in Erfüllung gehen und der Krieg ein rasches Ende nehmen, so daß wir wenigstens im nächsten Jahr bei einer wunderbaren Bowle an diesem Deinen Ehrentage alle gemütlich beisammen sitzen können. Dann, kleiner Mann, wünsche ich Dir doch recht viel viel Freude an Deinem Heidikind und daß Du sie hoffentlich nicht allzu lange mehr entbehren mußt. Es läuft eben immer wieder dort hinaus, daß der Krieg bald sein Ende finden muß. Es schmerzt mich tief, daß ich so ganz mit leeren Händen zu Dir kommen muß, und nun nicht mal ein kleines Kuchenpäckchen unterwegs ist, denn das hätte ich Dir zu gern geschickt und sogar den Kippentabak mit hinein getan. Ich glaube nun auch nicht mehr, daß Du Ende Juni schon fahren kannst. Hast Du denn wenigstens einen Ersatzmann bekommen? Alter Stromer, verlebe also diesen Tag recht schön, meine Gedanken werden immer bei Dir sein an dem Tag, und am Sonntag früh um 8 Uhr werde ich mit einem Blumenstrauß vor Deinem Bild stehen und Zwiesprache mit Dir halten und Dir einen herzhaften Kuß geben. Nachmittags um 4 Uhr werde ich dann bei meiner Tasse Malzkaffee mir vorstellen, wie Du jetzt vielleicht irgendwo in einem feudalen Kaffee ganz groß Kaffee trinkst und den feinen Mann spielst. Hoffentlich fühlst Du Dich nicht gar zu einsam, aber Du wirst schon spüren, daß wir mit all unseren Gedanken bei Dir sind.
Nun will ich Dir aber erstmal für Deinen Sonntagsbrief recht herzlich danken, es war mal wieder ein lieber langer Brief und traf ganz pünktlich ein. Ehe ich Deinen Brief lesen konnte, mußte ich erst zweimal mit Sand fahren, denn wir müssen jetzt für jeden Wohnraum fünf Tüten Sand stellen. Elli war mit und hat ganz schön geholfen, und am Nachmittag bin ich wieder in den Garten gefahren und habe Erdbeeren geerntet. Gestern war nun seit langem mal wieder ein ausgesprochen schöner Tag und bin ich mit Heidi im Wald rumgestiegen, und am Abend habe ich mich auch über Heidis Höschen hergemacht, die schon fast alle kaputt gehen. Dann bin ich ins Bett und habe dann bis nach 1 Uhr wach gelegen, weil Deine Tochter munter wie ein Fisch im Wasser war. ½ 1 Uhr habe ich ihr dann den Hintern versohlt und sie ausgezankt, denn ich war hundemüde. Du, wenn jetzt was ist, was sie nicht soll, und ich sage ,nein nein, ... dann sagt sie ’Popo’. Das klingt zu drollig und kann man ihr einfach nicht böse sein. Donnerstag Nacht hatten wir mal wieder Alarm, und gestern Nachmittag ½ 3 Uhr den ersten Tagesalarm. Heute ist wieder ein schöner Abend, und werden wir wohl so gegen 2 Uhr wieder aus dem Bett geholt werden. Heute früh bin ich allein in den Garten gefahren, zu Mittag wollte ich wieder da sein. Ich habe gewühlt wie ein Maulwurf, konnte es aber doch nicht schaffen und war erst gegen 5 Uhr wieder daheim. Lisa konnte nicht helfen, denn sie hat ein vollkommen verbranntes Gesicht und lag zu Bett. Die acht Körbe voll habe ich ganz allein geerntet, da glaubst Du gar nicht, wie schachmatt ich bin. Von Mutti bekam ich zur Belohnung eine Tasse Bohne und dann habe ich noch einen Korb voll mit heim bekommen, so daß alle was bekommen haben, auch Elli bekommt morgen ihren Teil. Schade, daß Du nicht da bist, armer Kerl, Du kommst tüchtig kurz weg. Aber so viel wird es wohl auch nicht wieder werden. Jetzt sind die Eltern ins Kino und ich habe mal wieder Ruhe Deinen Brief zu schreiben. Es freut mich, daß Du über meine Stotterbriefe nicht enttäuscht bist, aber ich weiß jetzt wirklich oft nicht, wie ich es machen soll. Mein Rücken war ganz schön verbrannt und habe ich den Bast nur so runtergezogen, eigentlich ist das immer Deine Arbeit gewesen. Ist die Enthaltsamkeit Dir schwer gefallen? Armer Kerl, was tut
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