Bleib uns gesund und behalt uns lieb 02: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
nur einen Baukasten aus Pappe. Als wir dann wieder zu Hause waren, habe ich Heidi ins Bett gelegt, damit sie ein bissel Vorrat schläft. Ich habe indes unser kleines, aber sehr hübsch gewachsenes Christbäumchen geputzt, und alles schön hingebaut. Leider hatten wir unser Radio nicht da, und wurde es erst gegen 6 Uhr geliefert und leider, leider, geht es immer noch nicht, so daß wir um die ganzen schönen Weihnachtslieder betrogen wurden. Augenblicklich hat es sich mal ein bissel besonnen, und habe ich Teile aus dem Messias gehört. Dann habe ich, nachdem ich meine letzte Bohne spendiert hatte, unser Bäumchen angezündet, denn Heidi konnte es schon kaum mehr erwarten. Ihre Augen hättest Du sehen sollen, sie blieben wie gebannt an der Küche haften. Erst mußte aber gesungen werden, und dann holte sie ihren alten Puppenwagen mit der Mimi in neuer Robe und fuhr mit ihr vor die Küche. Sämtliche Schränke und Fächer wurden untersucht und dann wurde natürlich auch alles andere gebührend bemustert. Unser Kerlchen ist ja auch mehr als reichlich bedacht worden. Von Mutti und Erika hat sie eine wunderhübsche Puppe mit Holzkopf, und ist das die Zenzi. Über Deine Häuser hat sich Kerlchen auch sehr gefreut (jetzt höre ich die ersten Weihnachtslieder im Radio, gerade ‘Süßer die Glocken’). Vielleicht hörst Du auch gerade? Dann habe ich Heidi ‘Hans Wundersam’ neu einbinden lassen. Weiter hat sie von Mutti ein Nachthemd, von Mutter ein Nachthemd, Hemdchen, Leibchen, Höschen, Schürzchen, Gummimantel und ein Kleid für die Mimi, von Lisa einen Stoff für ein Mäntelchen, von Tante Frieda und Ilse ein allerliebstes weißes gesticktes Sommerkleidchen, und habe ich mich da sehr gefreut, weil ich es von ihnen zuletzt erwartet hätte. Mutter bekam von uns eine neue Einkaufstasche, Vater einen Oberhemdenstoff, beide eine Dose Birnen, eine Dose Marmelade, Fleisch, Äpfel, Kekse. (Jetzt bleibt das Radio schon wieder weg, gerade singen sie Weihnachtslieder, ist doch ein Elend.) Und nun ich. Kleiner Mann, ich bin so reich bedacht worden, daß es mich ordentlich beschämt. Und da will ich Dir nun von ganzem Herzen danken. Das Fleisch ist so prima, zumal ich gestern drei Stunden gestanden hatte, ohne was zu bekommen, aber dafür habe ich heute die Schweinefleischbüchse aufgemacht. Und dann, kleiner Mann, die Zigaretten. Sag, kann ich das denn annehmen? Wo Ihr schon keine mehr bekommt, kann ich doch Deine letzten nicht nehmen. Aber man ist so ausgehungert darauf, daß ich schon zwei davon geraucht habe. Also tausend Dank, alter Lumisch, ich weiß ja nicht, wie ich das wieder mal gut machen kann. Von Mutter und Vater 30 M für ein neues Kleid, ein Bettuch, eine Schürze, ein Strumpfkasten, ein Leder, ein Kalender, ein Marken... und fünf Stäbchen, von Lisa einen Stoff, von Papa und Mutti ein Dreipfundbrot und ein Achtel Bohnenkaffee.....
(Rest fehlt)
Leipzig, dem 27.12. 1945
Mein lieber alter Hans!
Nun will ich heute noch ein paar Zeilen schreiben, die ich Heinz am Sonnabend mitgeben kann.Ausführlich über unser Weihnachtsfest habe ich Dir am Heiligen Abend, nachdem Heidi im Bett war, geschrieben. Bis nachts 12 Uhr habe ich mich da mit Dir unterhalten. Wiederholen will ich dies nicht alles nochmal, es würde auch für Dich langweilig zu lesen sein. Zuerst will ich Dir aber erst mal für Deinen lieben Weihnachtsbrief recht herzlich danken. Leider kam er erst früh zum dritten Feiertag an, aber gefreut habe ich mich trotzdem noch sehr. Vielen Dank auch für das Stäbchen, kleiner Mann. Dein Brief Nummer 3 ist leider bis heute noch nicht angekommen und fehlen somit 20 M. Nr. 1 u. 2, mit zusammen 30 M, hatte ich erhalten, und Dir auch gleich darauf geantwortet und mich bedankt. Die Gründe, die mir Heinz für Dein Nichtkommen angab, kann ich voll und ganz verstehen und will man nicht diese hoffentlich baldige Entlassung durch die Schwarzfahrt gefährden. Augenblicklich ist es sogar besser, wenn Du dort bist, denn es gehen Gerüchte um, daß alle Männer von 18-45 Jahren registriert und nach Rußland deportiert werden. Wie weit es sich da nur um Gerüchte handelt, kann ich nicht entscheiden. Eben war auch Onkel Max und Tante Anna da und erzählten, daß Haussuchungen nach Waffen und Nazibüchern durchgeführt werden, in der Könneritzstraße waren sie heute schon. Na, bei uns gibt es ja nichts zu suchen und zu finden, nur die Niederlande im Wandel der Zeit werde ich verbrennen. Wie kommst Du mit dem Urlaub
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