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Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Titel: Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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kleines, vielleicht achtjähriges Mädchen, das zusammen mit seiner Mutter ebenfalls wartete und sich langweilte, blieb vor ihr stehen und starrte sie an.
    Nicola hob den Blick.
    »Tut es sehr weh?«, fragte das Mädchen. Es hatte große blaue Augen und eine niedliche Stupsnase.
    Nicola schüttelte den Kopf.
    »Aber du blutest.«
    »Das hört bestimmt gleich auf.«
    »Ich bekomme einen Bruder, aber Mama geht es nicht gut«, sagte die Kleine.
    »Leonie, komm bitte her!«, rief ihre Mutter von der anderen Seite des Wartebereichs.
    »Tschüss«, sagte die Kleine und verschwand mit tänzelnden Schritten.
    Leonie freute sich auf ihr Brüderchen, das war nicht zu übersehen. Verstohlen warf Nicola einen Blick auf die Mutter. Sie war jung, jünger als sie selbst, und ihr Bauch wirklich riesig. Mit einer Hand hielt sie ihn fest, als könne er verloren gehen, mit der anderen tippte sie etwas in ihr Handy ein. Sie wirkte nicht halb so glücklich wie ihre Tochter.
    Nicola erschrak, als der Lautsprecher plötzlich ihren Namen quäkte und sie bat, in Raum vier zu kommen.
    Dort wartete bereits ein junger Mann in weißer Hose und grünem Hemd auf sie. Er war sonnengebräunt, lächelte freundlich, hatte kurzes, dunkles Haar, einen Dreitagebart und sehr, sehr müde Augen.
    »Ich bin Doktor Beck«, begrüßte er sie. »Das sieht ja gar nicht gut aus. Was ist Ihnen denn passiert? Kommen Sie, setzen Sie sich hierher, wir sehen uns das gleich mal an.«
    Nicola ließ sich auf einen Drehstuhl dirigieren und schloss die Augen. Dr. Beck entfernte vorsichtig ihren provisorischen Verband.
    »Das muss genäht werden«, sagte er sofort. »Wann ist das passiert?«
    »In der Früh. Ich bin im Bad ausgerutscht und mit dem Kopf gegen das Waschbecken gestürzt.«
    Sie spürte seinen intensiven Blick und traute sich nicht, ihre Augen zu öffnen.
    »Der Wunde nach zu urteilen muss das aber ein heftiger Sturz gewesen sein. Fehlt Ihnen sonst noch etwas? Leiden Sie unter Kopfschmerz, Übelkeit oder Erbrechen?«
    »Nein, nein, nichts dergleichen, nur die kleine Wunde«, sagte Nicola und verschwieg ihre Kopfschmerzen.
    »Das ist keine kleine Wunde. Da werden vier bis sechs Stiche notwendig sein. Für einen Sturz im Bad ist das ziemlich heftig. Was haben Sie gemacht? Aerobic? Öffnen Sie mal die Augen, bitte!«
    Er hatte zwei Finger unter Nicolas Kinn gelegt und drückte ihren Kopf sanft in den Nacken. Ihr blieb gar nichts anderes übrig, als ihn anzusehen. Seine Augen wirkten jetzt nicht mehr müde. Er musterte sie mit durchdringendem Blick, und Nicola fühlte sich all ihrer Geheimnisse beraubt. Sie war erleichtert, als er eine kleine Lampe nahm, um damit in ihre Augen zu leuchten, erst rechts, dann links.
    »Gut«, sagte der Arzt schließlich. »Kommen Sie bitte mit.«
    Er führte sie in einen anderen Raum und bat sie, auf einem Stuhl Platz zu nehmen, der an die Behandlungsliege beim Zahnarzt erinnerte. Die Rückenlehne senkte sich mit leisem Surren ab, gleichzeitig wurden ihre Beine angehoben. Dr. Beck schaltete eine OP-Lampe ein.
    »Wie gesagt, ich werde Sie nähen müssen, und dafür werde ich das Gewebe um die Wunde betäuben. Okay?«
    »Ja, okay.«
    Als er die Nadel in ihr Fleisch stach, zuckte Nicola nicht einmal.
    »Sie sind ganz schön tapfer. Man könnte meinen, Sie sind Schmerzen gewöhnt.«
    Darauf antwortete Nicola nicht.
    Er sagte, er komme wieder, wenn die Betäubung ihre Wirkung entfaltet habe, dann ließ er sie allein.
    Nicola lag mit geschlossenen Augen da und versuchte sich vorzustellen, sie würde in der Ecke zwischen Wand und Kleiderschrank sitzen, wo es eng und geschützt war und niemand sie sehen konnte. Doch das Gefühl von Sicherheit, das sie in dieser Ecke stets empfunden hatte, wollte sich nicht einstellen. Stattdessen sah sie die metallene Tür, die eine Handbreit geöffnet war. Licht quoll aus dem Spalt, als flüchte es aus dem Raum dahinter. Und sie hörte Schreie, furchtbare Schreie voller Qual und …
    »So, dann wollen wir mal schauen«, sagte Dr. Beck, der mit einer Schwester zurückgekehrt war.
    Er betastete die Wundränder und fragte Nicola, ob das wehtue, was sie verneinte. Schließlich begann er, die Wunde zu nähen. Nach zwanzig Minuten war alles vorbei.
    Die Schwester verließ den Raum.
    Dr. Beck blieb neben Nicola sitzen. »Wie fühlen Sie sich?«
    »Gut. Danke.«
    »Wir sollten Sie besser noch röntgen, es könnte ja sein, dass Sie …«
    »Nein!«, entfuhr es Nicola heftiger als nötig. »Sonst ist alles in

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