Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
schreiben … und, na ja, auch gern etwas veröffentlichen würden. Wir setzen uns dort kritisch mit den Texten auseinander.«
»Und jeder kann teilnehmen?«
»Es gibt da keine Mitgliedschaft oder so. Man muss nur bereit sein, seine Texte vorzulesen und mit den anderen darüber zu diskutieren.«
»Und welche Rolle spielt Schön dabei?«
»Der macht einen auf großer Literaturkritiker.«
»Klingt so, als würdest du ihn nicht mögen.«
Jonas lachte trocken. »Ein Arsch ist das. Anfangs dachte ich ja noch, das muss so sein und ich würde nicht zum Schriftsteller taugen, wenn ich keine Kritik vertragen kann, aber das kann ich. Sie muss nur … wahrhaft sein.«
»Was schreibst du?«
»Novellen über Zeitgeschichte.«
»Wie stand Daniela zu Schön?«
»Daniela war anfangs echt begeistert. Schön hat sie aber auch über den grünen Klee gelobt. Das macht der mit allen Frauen so. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will nicht sagen, Daniela hätte schlecht geschrieben, aber so war der Schön eben.«
»Wie?«
»Vier-Augen-Gespräche, private Treffen und so. Der hat auch Dani Hoffnung auf eine Veröffentlichung gemacht.«
»Erzähl«, bat Alex.
Jonas zuckte mit den Schultern. »Schön hat immer von seinen guten Kontakten zur Verlagsbranche gesprochen. Wen der alles kennt und so, und dass es für ihn kein Problem wäre, einen wirklich guten Text bei einem Verlag unterzubringen. Dabei hat der doch selbst noch nie was rausgebracht, der Spinner.«
»Und Daniela gegenüber hat er das auch behauptet?«
Jonas nickte. »Ich kann mich noch gut daran erinnern. Muss im Dezember gewesen sein. Sie war total aufgeregt. Schön hat wohl eines ihrer Manuskripte an einen Verlag weitergereicht, und die haben Interesse signalisiert.«
»Hast du gehört, was daraus geworden ist?«
»Nee.«
»Sie hat nicht mehr darüber gesprochen?«
»Wenn ein Verlag ein Manuskript prüft, dauert das immer Monate. Da braucht man vor allem Geduld. Wir haben uns danach ja nur noch zwei Mal oder so gesehen.«
»Was schreibt Daniela?«
»Fantasyromane … Und gar nicht mal schlecht. Ich glaube, die wird es irgendwann schaffen.«
Alex holte eine Visitenkarte aus seiner Jackentasche und überreichte sie dem Jungen. »Wenn dir noch irgendwas einfällt, dann lass es mich bitte wissen, ja? Du kannst mich unter der Handynummer jederzeit erreichen.«
»Okay. Mach ich.«
Danach begleitete der Junge ihn zurück zum Tor.
»Arbeitest du hier?«, fragte Alex.
»Bin im dritten Lehrjahr. Zimmermann.«
»Zimmermann und Schriftsteller?«
»Warum nicht?«
Alex nickte. »Du hast Recht. Warum eigentlich nicht.«
Sie erreichten das Tor.
»Eines noch«, begann Alex. »Horst Schön ist ein richtiges Arschloch. Wenn so einer zu dir sagt, du kannst nicht schreiben, dann ist genau das Gegenteil der Fall. Also, nicht aufgeben.«
Zum ersten Mal lächelte Jonas Bömeke.
Nele Karminter verließ den Fahrstuhl, schritt durch einen kurzen Gang auf eine braune Doppeltür mit Milchglasscheiben zu und drückte auf den in Hüfthöhe angebrachten Schalter, der im Reich der Rechtsmediziner einen Summton auslöste.
Während sie wartete, lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Wand. Sie fühlte sich nicht gut. Es war nicht nur die Müdigkeit allein, nein, irgendwas anderes stimmte nicht mit ihr. Seit sie Cem Özdan verhört hatten und sie in einer Reihe von Telefonaten alles Notwendige in Gang gebracht hatte, fühlte sie sich zunehmend unkonzentriert und fahrig.
Anou und sie waren noch einmal zu der Mastanlage hinausgefahren. Ihr eigener Wagen war dort stehen geblieben, außerdem wollte sie selbst mit den Spurentechnikern und dem Polizeibeamten sprechen, der in dem kleinen Revier in Talbach, einem 3000-Seelenkaff zwölf Kilometer von Bruchhausen entfernt, seinen Dienst versah. Dirk Stenzel, so hieß der Mann, würde die Befragung im Umfeld leiten, da er sich dort bestens auskannte. Er hatte Nele auch sofort mit einer wichtigen Info überrascht. Auf die Frage, ob ihm in letzter Zeit ortsfremde Fahrzeuge aufgefallen seien, hatte er geantwortet, dass es vor Einbruch des Winters davon nur so gewimmelt habe in der Gegend. Die Windkraftanlagen hinter den Mastställen waren von Ende August bis Anfang November aufgebaut worden. Dutzende Techniker und Fahrer hatten sich über Wochen dort aufgehalten.
Das würden sie überprüfen müssen.
Das und vieles andere.
Nele streckte ihre Hände aus. Sie zitterten. Außerdem waren die Fingerspitzen eiskalt und blau
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