Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
Fensterfront gab es ein kleines Podest, darauf standen ein runder Tisch und ein Stuhl. Der übrige Raum war scheinbar wahllos mit Tischen, Stühlen, Sesseln und zwei Sofas zugestellt. Zwischen offenem Gebälk in der hinteren rechten Ecke baumelte eine Hängematte. Zwei Wände waren mit alten Filmplakaten beklebt, eines davon für den Film Forrester – Gefunden mit Sean Connery, den Alex kannte. An den anderen Wänden standen einfache Kieferholzregale, angefüllt mit Büchern und Zeitschriften. Von der Decke hingen einige Lampen, die mit Werbung für Beck’s Bier versehen waren und wohl aus einer Kneipe stammten.
Sie setzten sich an einen runden Holztisch in der Nähe der Tür. Horst Schön machte keine Anstalten, ihm etwas zu trinken anzubieten, deshalb legte Alex gleich los. »Sprechen Sie hier nur über Literatur oder wird auch welche verfasst?«
»Sowohl als auch. Hören Sie, Herr …?«
»Seitz.«
»Herr Seitz. Ich habe wirklich nicht viel Zeit. Kommen Sie also bitte zur Sache. Wenn Sie über Literatur sprechen möchten, was ich bezweifle, können Sie gern an einem unserer öffentlichen Treffen teilnehmen. Dreimal die Woche, immer um halb acht und sonntags um zehn.«
»Und daran hat Daniela Gerstein teilgenommen?«
Die Augen seines Gegenübers formten sich zu schmalen Schlitzen. »Ist Daniela abgehauen?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich habe sie schon seit Wochen nicht mehr gesehen, und jetzt kommt ein Privatschnüffler und stellt Fragen. Ich kann eins und eins zusammenzählen.«
»Worüber hat Daniela denn so mit Ihnen gesprochen?«
»Das ist vertraulich.«
»Ihre Eltern machen sich Sorgen.«
»Nicht mein Problem.«
Alex seufzte. »Sie ist seit einem Monat verschwunden.«
»Vielleicht will sie es ja so.«
»Es könnte ihr aber auch etwas zugestoßen sein.«
»Könnte. Glaube ich aber nicht. Hören Sie, Herr Seitz. Daniela hat unter ihrem herrischen Vater gelitten. Sie ist ein sehr intelligentes Mädchen mit großem Talent für anspruchsvolle Literatur, so etwas findet man heute nicht mehr oft. Zu Hause hat dafür niemand ein offenes Ohr gehabt. Sie wird sich jemanden gesucht haben, der ihre Interessen teilt.«
»Jemanden wie Sie?«
Schön sah ihn unverwandt an und zuckte mit den Schultern.
»Herr Schön, ich kann natürlich auch die Polizei zu Ihnen schicken, wenn Ihnen das lieber ist?«
Er nahm mit einer langsamen, geradezu einstudierten Bewegung seine Brille ab und legte sie auf den Tisch. Dann hob er den Blick und lächelte, und Alex musste zugeben, dass dabei mit seinem Gesicht eine erstaunliche Veränderung vor sich ging. Das breite Lächeln entblößte eine Reihe gerader, weißer Zähne und ließ tiefe Lachfalten um die Augen herum entstehen. Aus einem eben noch abweisenden, unfreundlichen Gesicht wurde ein sympathisches.
»Und Sie meinen, mit einer Drohung kommen Sie bei mir weiter?«
Alex hatte jetzt genug von diesen Spielchen und spürte kalten Ärger in sich aufsteigen. Wieder einmal erfasste ihn diese unterschwellige Wut auf alles und jeden, die ihm oft schon mehr als genug Ärger eingebracht hatte, die er aber nicht kontrollieren konnte. Arrogante Typen wie Horst Schön kitzelten an einer Stelle in seinem Inneren, die sehr empfindlich und unberechenbar war.
»Hören Sie mir genau zu«, begann Alex und beugte sich weit zu Schön hinüber. »Ich glaube, Sie haben Daniela sexuell belästigt. Sie haben das Mädchen unter dem Vorwand, über Literatur sprechen zu wollen, hierhergelockt und sie dann betatscht. Es gibt eine Freundin, der sich Daniela anvertraut hat und …«
»Das ist eine bodenlose Unverschämtheit und eine Lüge!« Horst Schön wurde plötzlich rot, beängstigend rot.
Jetzt war es an Alex zu lächeln. »Und ich werde diese Lüge überall kolportieren, Herr Schön. Ich werde mich dreimal die Woche vor Ihren Laden stellen und es jedem erzählen. Frau Gerstein wird bei der Polizei gegen Sie aussagen, und ich finde eine angebliche Freundin, die das auch tun wird. Ich zerstöre systematisch Ihren Ruf, Herr Schön. Bis Sie das Gegenteil bewiesen haben – falls Ihnen das überhaupt je gelingt –, sind Sie in dieser Stadt ein Geächteter.«
Alex lehnte sich zurück.
»Es sei denn, Sie erzählen mir etwas über Daniela.«
Horst Schön lächelte nicht mehr. Die weißen Zähne verschwanden hinter schmalen Lippen. Die Fassade des charismatischen Literaturliebhabers bröckelte weg und offenbarte etwas völlig anderes: etwas Kaltes, Berechnendes, das sich aber
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