Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
ihrem kurzen Haar glitzerten Schneekristalle.
Alex’ kurzfristig aufgeflammte Wut verflog rasch. Angesichts der geladenen Waffe unter seinem Schreibtisch hätte er sie warnen sollen, wie gefährlich es sein konnte, sich an ihn heranzuschleichen, doch damit hätte er zwangsläufig viel zu viel von sich preisgegeben. Jördis brauchte keine Toten in ihrer Welt. Die waren in seiner besser aufgehoben.
»Schön, dass du wieder da bist«, sagte er stattdessen. »Wie war es bei Schön? Und wo ist Carla?«
»Sie wollte wegen des Wetters sofort zurückfahren.« Jördis zog ihre Jacke aus und warf sie über die Lehne des Schreibtischstuhls. Dabei fiel ihr Blick auf den Monitor.
»Ein Erotikchat?«, fragte sie und sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.
Alex erklärte ihr den Zusammenhang. Während er sprach, schaute sie sich die Seite an. Dann drehte sie den Kopf und sah zu ihm auf.
»Aber dieser Freedomwriter ist doch online.«
»Was!«
Er beugte sich hinunter, und sie zeigte ihm das kleine Feld unten rechts.
Freedomwriter online , stand dort.
Alex war sich sicher, dass es vorher noch nicht da gewesen war.
»Schreib mal was«, sagte er.
Schon flogen Jördis’ zarte Finger über die Tastatur.
Hey, freedom, wie geht’s?
Gebannt auf den Monitor starrend warteten sie ab. Doch statt einer Antwort loggte Freedomwriter sich plötzlich aus.
»Das kann nur eines bedeuten«, sagte Alex, und er hörte selbst, wie unheilschwanger seine Stimme klang.
»Was?«
»Er weiß, dass es nicht Daniela sein kann.«
Es war die Kälte, die sie weckte.
Sie fror erbärmlich.
Sie lag auf dem Rücken, die gefesselten Arme unter sich.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Miriam sich erinnerte, was geschehen war, dafür kam die Erinnerung dann aber mit unbarmherziger Wucht.
Simone, die vor ihren Augen verblutet war. Die dunkle Gestalt in der geöffneten Tür mit einem Messer in der Hand. Sie war vor ihr die Treppe hinaufgeflüchtet und hatte es geschafft, sich im Gästezimmer einzuschließen. Als der Mann das erste Mal gegen die Tür gehämmert hatte, war sie unter das Bett gekrochen. Er hatte die Tür aufgetreten, das Bett beiseitegeschoben und sie am Bein darunter hervorgezogen. Sie hatte das Messer in seiner Hand und die Skimütze vor seinem Gesicht gesehen und gewusst, dass sie sterben würde. Keine der Kampfsporttechniken würde ihr noch etwas nützen.
Plötzlich hatte er angefangen, auf sie einzutreten, und sie mit den harten Sohlen seiner Stiefel überall getroffen: am Kopf, an der Brust, den Armen und Beinen, den Rippen.
»Ihr beschissenen Fotzen!«, hatte er dabei geschrien. »Ihr habt es doch gar nicht anders verdient!«
Das Nächste, woran Miriam sich erinnerte, war, dass sie auf dem Bett gelegen und er ihr eine Flasche an ihre Lippen gepresst hatte. Sie hatte noch versucht, die Flüssigkeit auszuspucken, doch er hatte einfach immer mehr davon in ihren Mund gekippt, sodass sie gar nicht anders gekonnt hatte, als zu schlucken.
Von da ab wusste sie nichts mehr.
Jetzt spürte sie Schmerzen an fast jeder Stelle ihres Körpers. In ihrem rechten Auge klebte eingetrocknetes Blut, ihre Lippe war aufgeplatzt, ihr Kopf dröhnte, aber sie lebte.
Sie lebte!
Vorsichtig hob Miriam den Kopf.
Zunächst sah sie noch verschwommen, doch nach und nach schälten sich Formen und Konturen aus diesem milchigen Nebel. Hier eine Kante, dort eine Ecke, eine Fuge, Mauerwerk … nein, fahlblaue Kacheln, die sich ringsherum zwei bis drei Meter in die Höhe erstreckten. Der Boden, auf dem sie lag, war ebenfalls blau gekachelt, aber mit schwarzen Linien darin.
Sechs, vielleicht sieben Meter über ihr befand sich eine mit dunklem Holz verkleidete Decke, von der dicke Spinnweben herunterhingen. Einzelne Bretter hatten sich verzogen und ragten aus der ansonsten glatten Fläche heraus wie Knochen aus einem offenen Bruch. In der Wand, auf die Miriam blickte, zogen sich im oberen Drittel schmale Fenster über die gesamte Länge der Halle. Sie waren kaum zwanzig Zentimeter breit und blind vor Schmutz, eines war sogar eingeworfen. Miriam meinte, davor Bäume im Wind wanken zu sehen.
Es dauerte eine Weile, ehe sie begriff, was sie sah.
Sie lag auf dem Boden eines leeren Schwimmbeckens in einer alten, verwaisten Schwimmhalle. Von der Größe her konnte es sich um eine private Anlage handeln, dachte Miriam, aber vielleicht täuschte sie ihr eingeschränkter Blickwinkel auch, und es war doch ein öffentliches Bad, für dessen Erhalt die Gelder gefehlt
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