Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
Waffe und zielte auf die Seitenscheibe.
»Nicooolaaaaaaa.«
Er war wieder da!
Und er war dreist genug, auch am helllichten Tage auf dem Grundstück herumzulaufen.
Aber Nicola war vorbereitet. Schon seit dem frühen Vormittag waren sämtliche Rollläden heruntergelassen. Das sonst lichtdurchflutete Haus war zu einem dunklen Bunker geworden, der zwar Sicherheit bot, gleichzeitig aber auch tiefe Angst in ihr auslöste. So abgeschottet zu sein und nichts sehen zu können machte Nicola zu schaffen, aber sie hatte sich vorgenommen, es durchzuziehen.
Auch ihn konnte sie nicht sehen, aber das musste sie nicht. Er machte sich bemerkbar, ließ sie wissen, dass er da war.
Auf der Terrasse wurde ein Stuhl verschoben. Eine Hand rutschte am Rollladen des Wohnzimmerfensters entlang. Ein hässliches, markerschütterndes Geräusch, trotzdem widerstand Nicola dem Drang, sich in eine Ecke des Hauses zu verkriechen.
Damit musste jetzt Schluss sein!
»Nicoolaaaa.«
Trotz der Mauern und Fenster konnte sie hören, wie er mit kindlicher Singstimme ihren Namen rief. Seine Stimme kroch in ihren Kopf und suchte dort nach dem Platz, den sie solange eingenommen hatte.
Sie presste sich die Fäuste auf die Ohren und versuchte, seine Stimme zu ignorieren.
»Nicolaaa.«
Es klappte nicht, also nahm sie ihr Handy und wählte die Nummer, die sie zuvor gespeichert hatte.
Die Polizistin meldete sich nach dem vierten Läuten.
»Er ist hier«, flüsterte Nicola ins Telefon.
»Nicola, sind Sie das?«
»Ja … Mein Mann, er ist hier.«
»Ist er im Haus?«
»Nein. Draußen.«
»Lassen Sie ihn auf keinen Fall herein, aber versuchen Sie, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Ich beeile mich. Haben Sie das verstanden, Nicola?«
»Ja, aber … Ich weiß nicht …«
»Halten Sie ihn hin, ich bin gleich bei Ihnen.«
Dann war das Gespräch beendet.
Nicola lauschte. Wo war er jetzt? Sie konnte ihn nicht mehr hören.
Ihn hinhalten, hatte die Polizistin gesagt. Aber wie sollte sie das machen? Sie wusste ja nicht einmal, wo er sich gerade befand. Sie schlich von Fenster zu Fenster, traute sich aber nicht, die Rollläden zu öffnen. Als sie in der Küche war, hörte sie ein schepperndes Klappern, konnte es aber nicht zuordnen. Danach vergingen fünf stille Minuten, in denen sie sich die Lippen blutig biss.
»Nicola!«
Das klang jetzt überhaupt nicht mehr wie kindlicher Gesang, sondern hart und fordernd, und es kam von der Haustür.
Nicola schlich in den dunklen Flur. Mit beiden Händen umklammerte sie immer noch das Telefon, während sie sich dicht an die Tür schob.
Halten Sie ihn hin!
»Was willst du?«, fragte sie.
Durch das dicke Holz hindurch konnte sie ihn spüren. Er stand auf der anderen Seite und presste wahrscheinlich genau wie sie sein Ohr an die Tür.
»Warum geht das Garagentor nicht auf?«
Er hatte es also schon entdeckt.
Gestern Nacht hatte sie sich erneut in die Garage geschlichen und festgestellt, dass er nichts anderes getan hatte, als die beiden Kanister mitzunehmen. Die weißhaarigen Köpfe standen unberührt auf dem Tapetentisch. Allerdings hatte sie neben der Verbindungstür zum Haus eine schwere Brechstange gefunden. Die Spuren, die er bei seinem Einbruchsversuch hinterlassen hatte, waren auf dem lackierten Metall des Rahmens deutlich zu sehen. Nicola hatte daraufhin den Motor, der das elektrische Garagentor antrieb, abgeschaltet. Das war nicht schwer gewesen. Sie hatte nur die Leiter holen und den einzigen Schalter an dem Motor so umlegen müssen, dass anstelle der grünen die rote Lampe leuchtete.
Noch vor einer Woche hätte sie sich so etwas nicht getraut.
»Keine Ahnung«, sagte sie.
»Ich muss in die Garage, hörst du! Ich brauche ganz dringend etwas daraus, für die Firma.«
»Ich weiß nicht, warum sie nicht aufgeht«, log Nicola. Auch das hätte sie vor einer Woche noch nicht gekonnt.
»Dann mach wenigstens die Tür auf, damit ich durchs Haus in die Garage komme.«
»Du darfst hier nicht rein. Das hat die Polizistin gesagt.«
»Ach, was wissen die Bullen denn schon. Ich habe Fehler gemacht, das weiß ich jetzt, und ich werde sie nie wieder machen, versprochen. Glaub mir bitte, mein Schatz! Glaubst du mir?«
»Nein!«, beantwortete Nicola seine Frage laut und deutlich.
Er schlug von außen hart gegen die Tür, und Nicola zuckte erschrocken zurück.
»Jetzt pass mal auf, du blöde Kuh. Was glaubst du eigentlich? Dass die Bullen dich ewig vor mir schützen können? Früher oder später erwische ich
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