Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
Brenndauer von sieben Minuten.
Falls Horst Schön vom Café del Sole aus direkt hierher fahren würde, könnte es knapp werden. Drei Minuten Spielraum waren nicht viel, schließlich musste Alex Haus und Hof noch verlassen.
Scheiß drauf!
Jetzt wollte er alles, was sich auf diesem Rechner befand.
Der blaue Balken, der den Brennstatus dokumentierte, schob sich enervierend langsam voran. Alex’ Finger tippten nervös auf die Schreibtischplatte. Draußen auf der Straße fuhr ein Auto vorbei. Alex beugte sich vor, schob die Vorhänge einen Spaltbreit auseinander und schaute hinaus. Er konnte die Toreinfahrt sehen.
Nein, da war niemand.
Noch vier Minuten.
»Schatz, ich hoffe, du bist draußen. Der Typ ist echt sauer!«, sagte Jördis über das Mikro.
Alex nahm sein Handy, rief sie an und sagte ihr, dass er im Aufbruch begriffen war.
Noch zwei Minuten.
Wieder Lärm auf der Straße.
Er lugte durch die Vorhänge. Vor der Toreinfahrt parkte ein brauner Lieferwagen von UPS. Gerade stieg der Fahrer aus und lief mit einem Paket unterm Arm zur anderen Straßenseite hinüber. Hinter dem Lieferwagen, das konnte Alex gerade noch erkennen, wartete ein schwarzes Fahrzeug.
Mit »Komm schon, komm schon« versuchte Alex das Programm zu beschleunigen.
Schließlich war der Balken vollständig und die Übertragung abgeschlossen. Alex nahm die DVD heraus und tippte schnell noch den Befehl ein, der seine Spuren auf dem PC vernichten würde. Dann steckte er alles in seinen Rucksack und verließ das Büro.
War die Tür offen gewesen?
Alex wusste es nicht mehr.
Er rannte durch den Stiefelflur, verließ das Haus, nahm sich aber die Zeit, wieder abzuschließen. Als er damit fertig war, hörte er den UPS-Lieferwagen wegfahren. Kurz darauf erklang das nächste Motorengeräusch direkt vor dem Tor. Eine Autotür wurde geöffnet.
Hektisch sah Alex sich auf dem Hof um.
Er brauchte ein Versteck.
Eine Sekunde, bevor Schön das Tor nach innen öffnete, presste er sich an die backsteinernen Mauer und verschwand hinter dem linken Torflügel.
Durch den Spalt zwischen Mauer und Tor beobachtete Alex, wie Schön seinen Wagen langsam zwischen den Pfeilern hindurchmanövrierte und dann bis zu der Garage rollte. Er wartete ab, bis er sicher war, dass Schön ihn durch die Seitenspiegel nicht sehen konnte, dann schnellte er aus seinem Versteck hervor und lief auf die Straße hinaus. Dort rannte er bis zum nächsten geparkten Auto und versteckte sich vor dem Kühler.
An der Stoßstange vorbei beobachtete er die Einfahrt.
Schön ließ sich nicht blicken.
Die Torflügel schlossen sich mit dem lauten Knarren eines Sargdeckels in einem alten Vampirfilm.
Wilhelm Harms war Alkoholiker.
Nele und Anou konnten sich zwar mit ihm unterhalten, doch der Landwirt war auch diesmal nicht nüchtern, deshalb wussten sie nicht, inwieweit sie seinen Aussagen trauen konnten. Harms lebte allein auf seinem großen, heruntergekommenen Hof. Seine Frau und seinen erwachsenen Sohn hatte er mit seiner Sauferei und der daraus erwachsenen Aggressivität längst vertrieben. Natürlich war er verbittert und sah die ganze Welt als Feind an. Alle waren schuld, nur er nicht. Die Milchpreise hatten ihn bereits fast ruiniert, als er beschlossen hatte, auf die einträglichere Ferkelmast umzusteigen. Da war es aber schon zu spät, die anderen Landwirte waren ihm längst voraus gewesen, außerdem fehlte es ihm an Erfahrung. Zwei Seuchen in seinen Ställen hatten ihm den Rest gegeben. Nach seiner festen Überzeugung hatte seine Konkurrenz diese absichtlich bei ihm eingeschleppt.
Harms behauptete, er könne die Ställe wegen der Seuche nicht verkaufen. In der Gegend erzählte man sich, es würde ein Fluch darauf liegen, und für größere Investoren aus dem Ausland waren die Ställe zu klein. Sie zu erweitern erlaubte der Bebauungsplan der Gemeinde nicht. Also hockte er da mit seinen Schulden und ersäufte seine Sorgen im Alkohol.
Die Endreinigung seiner Ställe hatte eine Firma für Industrieservice übernommen. Er hatte Nele die Rechnung ausgehändigt. Die Firma kam aus Hamburg und nannte sich ISS.
Noch auf dem Hof des Landwirts rief Nele abermals Eckert Glanz an. Er sagte, es ginge ihm besser und er könne arbeiten. Nele gab ihm die Adresse der Hamburger Firma durch und bat ihn, sich dort umzuhören.
Sie hatte kaum aufgelegt, da läutete ihr Handy.
Es war Klaus Quandt.
»Herr Quandt, was haben Sie für mich?«
»Die Identität des Opfers.«
Neles Herzschlag beschleunigte
Weitere Kostenlose Bücher