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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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Er lächelt. Kehrt mir den Rücken zu und geht Richtung Di Donnas Haus davon.
    Ich warte, bis er ein paar Meter entfernt ist, springe ins Auto, starte den Motor und haue ab, so schnell ich kann. Ohne mich umzublicken.
     
    Das Notizbuch ist schwarz und handtellergroß. Daniele öffnet es in regelmäßigen Abständen, schreibt etwas hinein und klappt es wieder zu. Dann steckt er es in die Ledertasche, von der er sich nie trennt. Er hat es sich sofort nach dem Erhalt von Elenas Unterlagen gekauft.
    Für ihn ist das neu. So hat er sich noch nie Notizen gemacht. Lose Zettel, Post-Its, mündliche Memos auf dem Diktiergerät mit den ständig leeren Batterien. Doch diese Methode funktioniert nicht mehr.
    Er sitzt auf seinem üblichen Platz im hinteren Gastraum der üblichen Bar und stochert lustlos in einem Teller Roastbeef mit Salat. Nicht gerade die beste Methode, um die Zeit totzuschlagen und klare Gedanken zu fassen.
    Er war weder Sizilianer noch Mafioso, hat der Alte gesagt. Diplomatischer als mit diesen beiden Negationen hätte er sich nicht ausdrücken können. Daniele hatte eine ganz andere Antwort erwartet.
    Er war einer von euch, hätte er sagen sollen.
    Das erste Mal hatte er an einem verschneiten Wintermorgen vom Werwolf gehört, jedoch nicht unter diesem Namen. Er kann sich noch genau erinnern, wie schwer es seine Eskorte hatte, ihn zur Arbeit zu bringen. Die Flocken waren tennisballgroß, die Straße eine einzige Rodelpiste. Die wenigen, die es zur Arbeit geschafft hatten, kamen ewig zu spät, und das ganze Tagesprogramm war hinfällig.
    Unvermutet von allen Verpflichtungen befreit, hatte er angefangen ein paar Unterlagen durchzugehen, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten und ein Verfahren betrafen, das mit dem Sachverhalt, der ihn gerade beschäftigte, in Zusammenhang zu stehen schien. Sie führten direkt zum Attentat von Addaura.
    Darin war er auf eine Zeugenaussage gestoßen, die von einem Monster sprach. Beim Lesen hatte er gelacht. Er hatte sich einen verschreckten Menschen vorgestellt, der hemmungslos übertrieb oder krankhaft log. Niemand anders hatte dieses Gesicht gesehen, und er hatte der Sache keine Bedeutung beigemessen.
    Auch das war ein Fehler gewesen, wie er mit der Zeit herausgefunden hatte. Ebenso wie es Jahre später ein Fehler gewesen war, zu viel über seine Ermittlungen zu reden. Er hätte für seine Kollegen und die Polizisten, mit denen er es zu tun hatte, die Hand ins Feuer gelegt. Bei manchen hatte er sogar private Ermittlungen angestrengt, nur ganz zaghaft allerdings und ohne Ergebnis. Und dennoch war er das Gefühl nicht losgeworden, dass jeder Erfolg, jedes Detail, jede Vermutung die vier Wände seines Büros verließ.
    Eines Tages hatte er mit Hilfe einer Ausrede sein Büro filzen lassen. Kein Mikro, keine Wanze, niemand, der ihn belauschte. Er war naiv gewesen, das weiß er jetzt. Von einer frappierenden Arglosigkeit, die ihm erst zu dämmern begann, als er sich mit der Accademia dei Georgofili beschäftigte. Die Mafia, die Bomben legt. Der Staat, der sich mit der Mafia trifft.
    Es war zur Besessenheit geworden, die man ganz schnell wieder loswerden musste, damit nicht alle Arbeit umsonst gewesen war. Von da an hatte er jedoch aufgehört, über Dinge zu reden, die nicht besprochen werden mussten. Er arbeitete so oft wie möglich allein in seinem Büro oder zu Hause, und wenn er die anderen über seine Vermutungen in Kenntnis setzen musste, legte er falsche Spuren, die er das nächste Mal wieder verwischte.
    »Sie sind schlau, Dottore«, hatte man ihm eines Tages gesagt.
    Er hatte gelächelt und sich die Antwort verkniffen.
    Ich bin nicht schlau, ich bin es nur leid, für blöd gehalten zu werden.
    Endlich waren der Prozess und die Urteile für die Attentate im Frühjahr ’93 gekommen. Lebenslänglich für die Bosse und ihre Handlanger, die jetzt alle im Knast saßen.
    Heute, fast zehn Jahre später, fängt alles wieder von vorn an.
    Hätte ich ein Theorem, könnte ich diese Arbeit nicht machen, hat er vor einigen Monaten einem Journalisten geantwortet. Dann hat er ihm möglichst ruhig zu erklären versucht, dass er den Begriff Theorem anstelle von Axiom verwendet. Haben Sie den Lehrsatz des Pythagoras je in Zweifel gestellt?, hat er gefragt. Doch der Journalist hörte ihm schon nicht mehr zu.
    Ein bewiesenes Theorem zweifelt man nicht an. Und das, was er jetzt sucht, ist der Beweis. Mathematik, Schritt für Schritt, bis zur Wahrheit.
    Er schlägt das Notizbuch an einer

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