Bleiernes Schweigen
beliebigen Stelle auf. Dann schließt er es sofort wieder, greift nach dem Handy, tippt eine Nummer und überlegt es sich anders. Er bricht den Anruf ab, ehe die Verbindung zustandekommt. Nicht mit diesem Telefon, nicht von hier aus.
Er geht zum Tresen. Die Wirtin sieht ihn, hört lächelnd zu und bittet ihn ins Hinterzimmer. In zwei Schritten ist er am Telefon, und ein zweiminütiger Anruf genügt, um zu bekommen, was er braucht.
Das Roastbeef auf seinem Platz ist schon seit langem nicht mehr von Interesse. Er trinkt sein Wasser aus, stopft sich hastig ein Stück Brot hinein, steht wieder auf, zahlt und geht.
Er ist sich nicht sicher, das Richtige getan zu haben. Aber das einzig Mögliche. Er hofft, dass es sich dieses Mal deckt.
Am Flughafen versuche ich etwas zu essen. Ich habe noch vier Stunden Zeit, ehe mein Flieger abhebt, und die Gewissheit, dass meine nächsten Mahlzeiten bestenfalls nach Plastik schmecken. Ich probiere etwas, das entfernt einem Schinkenbrötchen ähnelt. Es ist kriminell versalzen und lässt sich nur mit ein paar Dosen Cola herunterspülen.
Ich setze mich in eine Ecke vor die Fensterfront, die auf die Startbahnen hinausgeht. Ich warte, nicke vielleicht ein, lese eine italienische Zeitung vom Vortag, trinke eine Flasche Wasser in drei Schlucken leer, was gegen meinen Durst nicht hilft, und versuche mein Unbehagen zu lindern, indem ich die Nase in ein Taschenbuch stecke, das ich schon dreimal angefangen habe.
In Wirklichkeit bin ich kein bisschen gelassen. Mit einer Mischung aus Furcht und Argwohn starre ich jeden an, der mir vor die Nase kommt, und nur die Sonnenbrille verhindert, dass ich wie ein Paranoiker oder ein Flüchtiger aussehe. Wie gerne würde ich mich beruhigen, mir die Frage des Typen am Strand aus dem Kopf schlagen, die Schritte in Di Donnas Haus, Patrizio Benettis gerissenen, irren Gesichtsausdruck, das mal komische, mal schreckliche Gefühl, eine Puppe in den Händen vieler Puppenspieler zu sein.
Ich blicke hinaus. Mit beneidenswerter Leichtigkeit setzt eine 767 ihre Massen von Metall und Blech auf den Boden. Ich will nicht zurück nach Italien und ich will nicht hierbleiben. Am liebsten würde ich in irgendein Flugzeug steigen, das mich irgendwo hinbringt, als Bürger dieses Flugzeuges und nicht mehr eines Landes. Ich muss an diese abstrusen Fälle denken, wie Staatenlose in Flughäfen kampieren, und würde gern dasselbe tun, nur in der Luft, hoch oben, weit weg. Ohne Geräusche. Ohne nichts.
Das, was mich am Erdboden erwartet, schmeckt mir nicht und wird sich auch nicht bessern.
Ich atme tief durch. Ich frage mich, was Elena sagen würde, wenn sie meine Gedanken hörte. Sie, die immer so pragmatisch war und mit beiden Beinen auf der Erde stand. Sie, die Adriano immer erzählt hat, wie ausgeglichen ich sei. Ich schüttele den Kopf.
Ich hätte nie den Mumm zu fliehen. Abhauen ist ein Luxus, den ich mir nicht leisten kann. Ich bin zu neugierig und stecke zu tief drin, als dass ich gehen und der Sache nicht auf den Grund gehen könnte.
Ich fahre mir mit der Hand durchs Haar. Aus dem Lautsprecher tönt eine Ansage, die ich womöglich nicht richtig verstanden habe. Ich werde ans Telefon gebeten. Er wiederholt es zweimal, einmal in Englisch und einmal in Spanisch. Zwei Minuten später überreicht mir eine sehr höfliche und ebenso hübsche Hostess ein Telefon und entfernt sich ein paar Schritte.
»Bitte entschuldigen Sie«, sagt Marco Di Donna am anderen Ende der Leitung.
Ich unterdrücke ein Lachen.
»Wofür sollten Sie sich entschuldigen?«
»Für einiges. Dafür, Sie in diese unerfreuliche Situation gebracht und unsere Unterhaltung nicht fortgeführt zu haben. Wenn ich an das denke, was Sie interessiert, haben wir noch nicht einmal damit angefangen, fürchte ich.«
»Wo sind Sie?«
»Ich habe es Ihnen doch gesagt, ich habe keine Nationalität. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich auch nicht viel Zeit. Ich habe Sie nur angerufen, um Ihnen zwei Dinge zu sagen. Erstens wollte ich mich entschuldigen. Und zweitens halte ich unser Treffen noch nicht für beendet. Ich werde Ihnen erzählen, was Sie wissen wollen. Bald. Ich melde mich bei Ihnen.«
»Der Typ am Strand heute morgen, war der einer von Ihren Leuten?«
Die Frage geht ins Leere. Er hat aufgelegt.
Ich werde Ihnen erzählen, was Sie wissen wollen, hat er gesagt. Dieser Satz begleitet mich die gesamte Reise, löscht jeglichen anderen Gedanken aus und beflügelt die Phantasie.
Eine Stunde später verlasse
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