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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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und Di Donnas Worte im Ohr, die einfach nicht verstummen wollen.
    Als der Wolkenbruch nachlässt, trete ich auf die Veranda hinaus. Der Strand, gleich hinter der hölzernen Brüstung, sonst nichts ringsum.
    Reglos stehe ich da und warte, dass der Regen aufhört. Dann gehe ich hinaus, sehe hoch zu dem Haus auf dem Felsen und setze mich gemächlich in Bewegung. Ich weiß nicht, wie lange ich brauche, ich habe einfach zu viel im Kopf, und der Drang, die Unterhaltung zu Ende zu führen, ist genauso stark wie der, abzuhauen. Ganz weit weg. Weg von allem. Ich biege in das Sträßchen unterhalb der Klippe ein und bin so gut wie da.
    Noch ein paar Meter, und ich bleibe stehen.
    Das Haus ist dunkel. Kein Licht brennt, nichts lässt darauf schließen, dass jemand dort ist. Ich blicke mich nach dem schwarzen Jeep um. Dort, wo er geparkt war, ist das Gras niedergedrückt, doch der Wagen ist nicht zu sehen.
    Ich mache zwei Schritte auf das Haus zu. Di Donna könnte weggegangen sein, das weiß ich. Doch das, was ich beim Näherkommen sehe, erzählt eine ganz andere Geschichte.
    Die Haustür steht weit offen.
    Ich atme heftig. Schlucke. Frage mich, was ich tun soll. Frage mich, ob Patrizio Benetti es sich anders überlegt hat. Frage mich, ob er der Mann gewesen ist, dessen Schritte wir gehört haben. Frage mich, ob derjenige, egal wer es war, seine Mission erfüllt hat. Frage mich, ob er noch immer hier ist, irgendwo.
    Fragen, auf die ich keine Antwort habe und die mir bei jedem Schritt, den ich auf die offene Haustür zugehe, durch den Kopf schießen.
    Drinnen ist nichts mehr geblieben. Keine Gegenstände, keine Möbel, nichts außer den Wänden. Ich husche zur Kammer. Sie ist offen, ebenso wie die Tür, die nach unten führt. Ich gehe die wenigen Stufen hinab und habe das Gefühl, in einem alten Fantasyfilm gelandet zu sein.
    Auch das Kellerzimmer ist leer.
    Geblieben sind die Spuren der Regale, die Bohrlöcher in den Mauern, die Schatten an den Wänden, wo gestern noch die Konsolen hingen. Die Abdrücke des verschwundenen Barmöbels auf dem Boden. Dasselbe kaum wahrnehmbare Gespenst, das auch im oberen Stockwerk den Platz der Möbel eingenommen hat.
    Marco Di Donna ist abgehauen.
    Binde dich nie an etwas, das du nicht in dreißig Sekunden loswerden kannst, hat mir Patrizio Benetti gesagt. Offenbar ist er nicht der Einzige, der diese Lebensregel beherzigt.
    Ich gehe hinaus. Der Himmel ist wieder grau. Das Fetzchen Blau, das nach dem Regen zum Vorschein gekommen war, ist verschwunden.
    Ich muss weg. Von diesem Haus und von dieser Insel.
    Daran denke ich gerade, als ich ihn sehe.
    Er liegt einen Meter vor mir auf der Wiese. Ein banaler Zigarettenstummel, nach ein paar Zügen weggeworfen. Nur, dass er noch glüht.
    Ich blicke mich um. Zweimal. Dreimal. Ich muss hier weg. Ich muss weg.
    Ich setze mich in Bewegung, drehe mich um, es ist niemand zu sehen, ich höre ein Geräusch, sehe nach, niemand da, ich gehe schneller, noch schneller, renne den Weg hinunter, der zur Straße führt, ich will nicht über die Klippe, ich brauche Asphalt, Zement, vorbeifahrende Autos, Leute, die mich sehen und mich davon überzeugen, dass die Welt nicht mit dem Wolkenbruch, der sich gerade wieder zu entladen beginnt, verschwunden ist.
    Ich atme.
    Gehe.
    Rund hundert Meter jenseits der Schranke, die Di Donnas Anwesen schützt, bleibe ich stehen. Ich hole das Handy heraus und rufe Giulia an. Ich höre ihre Stimme auf dem Anrufbeantworter und dann den Piepton. Ich lege auf. Rufe den Flughafen an und erkundige mich nach dem nächstbesten Flug nach Italien.
    Eine halbe Stunde später packe ich meine Sachen. Hastig stopfe ich alles in den Koffer. Ich habe es eilig. Ich habe Angst. Ich muss hier weg. Ich hieve den Koffer in den Mietwagen, werfe die Heckklappe zu, lasse den Hausschlüssel im Schloss stecken und kehre zum Auto zurück.
    »Ist das Ihr Haus?«
    Der Mann steht am Strand. Er trägt ein Polohemd, dunkle Hosen und Tennisschuhe. Und er hat Italienisch gesprochen.
    Ohne zu antworten öffne ich die Wagentür. Er macht einen Schritt auf mich zu.
    »Ist das Ihr Haus?«, wiederholt er. Ich umklammere die Autoschlüssel.
    »Wieso wollen Sie das wissen?«
    »Nur so, ich hab so was gehört.«
    »Da müssen Sie sich verhört haben.«
    Er bewegt sich nicht. Nickt. Eine allzu langsame Geste. Er steckt eine Hand in die Hosentasche. Holt ein Zigarettenpäckchen hervor, zündet sich eine an und zieht daran.
    »Dann ist das wohl ein Irrtum gewesen.«
    »Mag sein.«

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