Bleiernes Schweigen
geht es um Interessen. Und die Frage, die man sich stellen muss, ist die, die ich mir auch gestellt habe. Der Mord an Dottor Falcone ist allen Interessen gerecht geworden. Denen der Cosa Nostra und denen des Staates. Der Mord an Dottor Borsellino hatte mit den Interessen der Cosa Nostra nichts zu tun. Man hat sie deportiert wie die Nazis die Juden …«
»Baldacci …«
»Erlauben Sie mir eine Metapher, Dottore.«
»Kommt auf die Metapher an.«
Baldacci lächelt.
»Wie auch immer, Sie haben mich verstanden. Sie werden rund um die Uhr bewacht, selbst, wenn Sie pinkeln gehen. Keine Frauen, keine Kinder, keine Post. Kein Geld, Dottore. Keinerlei Kontakt, man ist isoliert wie ein Toter. Man hockt in der Zelle und wartet, dass man endlich abkratzt. Vielleicht nach vierzig Jahren. Bei der Cosa Nostra sind keine Blödmänner. Wir sehen nach vorn, haben den Durchblick, wissen, was passiert und können dementsprechend handeln. War Dottor Borsellinos Tod ein schlechtes Geschäft oder eine sichere Rücklage für die Zukunft? Wenn ich an diese Bombe denke, kommt mir eine OP in den Sinn. Wussten Sie, dass ich operiert wurde?«
»Vor einem Jahr.«
»Ganz genau. Da war irgendwas nicht in Ordnung, und die Ärzte meinten, es müsse entfernt werden. Klar, ich hätte vorübergehend ein paar Beschwerden, ganz ohne gehe es nicht, aber es würde alles wieder in Ordnung kommen. Und sehen Sie mich an, mir geht’s blendend. Die Bombe gegen Paolo Borsellino war wie meine OP. Die Frage, die es zu beantworten gilt, ist, wem war damit gedient? Und wem war mit denen im Jahr danach gedient? Der Cosa Nostra? Nur der Cosa Nostra? Finden Sie eine Antwort und Sie haben alles, was Sie brauchen.«
»Und wieso antworten Sie nicht? An meiner Stelle?«
Baldaccis Lachen klingt wie ein Knallfrosch, der im Treppenhaus explodiert.
»Sie sind lustig, Dottore! Ich antworte nicht, weil ich keine Antworten habe. Fragen ja. Aber Antworten … Ich war schließlich im Knast.«
»Sagen Sie mir nicht, Sie hätten keine Vermutung.«
»Gerüchte gibt es viele, Dottore. Aber für keines würde ich meine Hand ins Feuer legen … Nein, zwingen Sie mich nicht zu antworten.«
Unvermitteltes Schweigen erfüllt den Raum. Daniele fühlt sich allein. Er wünschte, irgendjemand würde ins Zimmer treten. Er würde die Stimme eines der Männer der Eskorte hören, das ferne Dröhnen eines Autos oder Flugzeuges. Etwas, das ihn wieder in die Wirklichkeit holt und aus diesem Alptraum reißt, in dem er sich befindet.
Doch alles, was er bekommt, ist ein hinterlistiges Flackern in Baldaccis Augen.
»Sie wussten es, richtig?«
»Wie bitte?«
»Von Vincenzo Pellegrino. Sie wussten es bereits.«
Daniele antwortet nicht. Baldacci grinst. Seine Miene macht die Frage zunichte.
»Sind Sie je einem Mann mit einem entstellten Gesicht begegnet?«
Baldacci atmet leise aus, als bliese er Rauch durch die Lippen. Er senkt die Stimme.
»Sie wollen also wirklich Ernst machen, Dottore.« Schweigend sieht er Daniele an. Reglos, auf der Suche nach einer Antwort. »Ich bin nicht abergläubisch. Nicht mehr als andere. Doch dieser Mann jagte mir Angst ein.«
»Wissen Sie, wer es ist?«
»Fragen Sie mich nicht nach dem Namen, ich kenne ihn nicht. Außerdem sollten Sie lieber Ihre Leute fragen und nicht mich. Ich habe lange geglaubt, das sei eine Mär, es wird so viel Scheiß erzählt. Dann habe ich ihn getroffen. Und wissen Sie, was mich erstaunt hat? Er hat sich kein bisschen zu verstecken versucht. Im Gegenteil. Er drückte einem die Hand und redete so selbstbewusst wie ein Filmstar, bei dem die Weiber hysterisch und die Kerle aggressiv werden. Das war das Verblüffendste. Wenn einer so einen Job macht wie dieses … Monster, sollte er sich besser nicht blicken lassen. Gesichter wie meines oder Ihres, Dottore, bleiben unerkannt. Aber den erkennt man sofort. Viele haben ihn gesehen und von ihm erzählt, aber gefunden haben sie ihn nie. Der wusste genau, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte, sonst hätte er sich nicht so benommen.« Er sieht Daniele unruhig an. »Suchen Sie nach ihm?«
»Vielleicht.«
»Lassen Sie’s bleiben. Sie kriegen nur ein Gesicht zu sehen, dass Sie Ihr Lebtag nicht mehr vergessen werden. Und außerdem glaube ich, dass er tot ist.«
»Sie glauben oder Sie wissen es?«
Baldacci versucht zu lächeln. Eine nervöse Grimasse, die die Spannung nicht löst.
»Gerüchte haben nicht immer einen Absender. Vertrauen Sie mir.« Er macht eine Pause. »Ich brauche
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