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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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zehn Minuten. Doch vorher möchte ich Ihnen noch eines sagen. Über mein Treffen mit dem Geheimdienst in England habe ich mit niemandem gesprochen. Sie sind der Erste, dem ich diese ganze Geschichte erzähle.«
    »Also?«
    »Vor vier Jahren habe ich in einem Prozess ausgesagt. Der Verteidiger eines Angeklagten fragt mich, ob ich je Kontakte zum Geheimdienst hatte. Ich versuche der Frage auszuweichen, doch er lässt nicht locker. Er fragt mich, ob es stimme, dass ich im Knast Besuch von italienischen und nicht-italienischen Geheimdienstleuten hatte. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich genau solche Angst hatte wie in jener Nacht? Dieser Mann musste etwas wissen. Zumindest dachte ich das.«
    »Und was haben Sie geantwortet?«
    »Ich habe nicht geantwortet, Dottore. Ich habe nur gesagt, dass ich schweigen würde und zwar aus demselben Grund, den ich zuvor Ihrem Freund genannt habe. Gewissen Staatsorganen traue ich schon seit langem nicht mehr.«
    »Was haben Sie erwartet?«
    Ferrarini fährt gemächlich die Serpentinen in die Stadt hinunter. Bis zu diesem Moment hat keiner von uns geredet. Die Zeit vergeht hinter einer Mauer aus schwer zu deutendem Schweigen.
    »Über die Perseo? Eine Antwort. Oder etwas in der Art.«
    Er lacht auf, als hätte er es mit einem sehr naiven oder sehr dämlichen Menschen zu tun.
    »Wissen Sie, was das Problem ist? Der, der die Antworten gibt, hat auch immer direkt an ihnen Teil. Ja, nein, vielleicht. Auch die Schilderung einer Tatsache variiert mit dem Standpunkt, dem Bezug, dem Abstand, den wir zu ihr haben.«
    Ich bin müde, nervös und gereizt.
    »Die Moral hat mir gerade noch gefehlt.«
    Ferrarini tut so, als hätte er mich nicht gehört.
    »Wie bitte?«
    »Es ist mir scheißegal, wie sehr Sie in Ihre Geschichten verwickelt sind. Ich bin es mindestens genauso sehr wie Sie. Mit dem Unterschied, dass ich nach einem Quäntchen Wahrheit suche, während Sie sie kennen. Das glaube ich zumindest. Sehen Sie den Unterschied?«
    Er wird nicht wütend, verzieht keine Miene.
    »Und ob.«
    »Wieso haben Sie mich gefragt, was ich über die Perseo weiß?«
    Er übergeht die Frage.
    »Da ist eine Person, von der ich Ihnen noch nicht erzählt habe. In dieser Geschichte darf ich Ihnen keine Namen nennen, und so kann ich Ihnen auch keine Beweise liefern. Wollen Sie sie trotzdem hören?«
    »Drücken Sie sich nur weiter um eine Antwort.«
    Er streift mich mit einem Blick. Für einen winzigen Moment bin ich sicher, dass er lächelt. Dann, dass er ziemlich sauer wird. Schließlich zuckt er nur mit den Schultern.
    »Sind Sie sicher? Wollen Sie sie hören oder nicht?«
    Ich schweige und warte. Was wissen Sie über die Perseo?, denke ich, Was wissen Sie über die Perseo?
    »Ich höre.«
    Ferrarini nickt. Er scheint jäh gealtert zu sein, von den Erinnerungen fortgerissen.
    »Es gab da mal einen Typen, den ich in meiner Kindheit kannte. Der Krieg schweißte die Familien zusammen. Die Flüchtlinge und all das, Sie wissen schon. Er war so alt wie ich. Eine Immigrantenfamilie, aus Foggia, wenn ich mich recht erinnere. Er arbeitete wie ein Tier, keine Ahnung, woher er die Energie nahm. Wenn die anderen nicht mehr konnten, kam er erst in Fahrt. Wie auch immer, zusammen mit einem Partner zieht er eine Baufirma auf. Anfangs eine kleine Sache, doch nach und nach legt er zu. Kein Gigant, aber wer weiß, was noch daraus wird. Eines Tages kaufte er ein paar Flurstücke, die sonst keiner haben wollte. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, Einfamilienhäuser darauf zu bauen. In der Nähe gab es einen Park. Ein hübsches Plätzchen vor den Toren der Stadt. Heute würden sie ihm die Bude einrennen.«
    Er schüttelt den Kopf, bremst ab, hängt sich hinter ein Landwirtschaftsfahrzeug und sieht auf die Uhr.
    »Wir haben noch massenhaft Zeit. Nun ja, er fängt an zu bauen. Die Baustelle und das ganze Drumherum geht los. Und eines Tages – die Fundamente standen schon – bekommt er Besuch. Zwei Typen, anscheinend redliche Leute. Sie erkundigen sich nach dem Bauvorhaben und wollen wissen, wie viel die Häuser kosten, offenbar zwei potentielle Käufer. Freundlich, höflich, gut gekleidet. Doch ehe sie gehen, sagen sie ihm, er sollte sich besser verziehen. Es sei nicht gut, hier zu bauen. Das könne gefährlich werden. Gefährlich. Mein Bekannter ist ein Schrank von einem Kerl, den will man nicht wütend erleben. Doch an dem Tag wird er fuchsteufelswild. Er fragt sie, wer sie seien und wer sie schicke. Die beiden lächeln.

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