Bleiernes Schweigen
Sie seien lediglich um sein Wohl besorgt, sagen sie, und gehen. Zwei Nächte darauf bricht jemand auf der Baustelle ein, zerstört eine Baracke, klaut Werkzeug und kippt Gülle in eine der Fundamentgruben. Es folgt eine Serie kleiner Unfälle. Maschinen, die nicht funktionieren, Lampen, die kaputtgehen, ein Kurzschluss, der einen Brand auslöst. Das geht so ein paar Wochen lang, die Arbeiten verzögern sich, die Kosten steigen. Und eines schönen Tages sind die beiden Herren wieder da.«
»Ich nehme an, sie hatten einen Vorschlag, wie sie ihm helfen könnten.«
»Das dachte er auch. Vielleicht eine Schutzgeldzahlung. Aber nein. Das Spielchen lief auf etwas anderes hinaus. Sie wollten wissen, ob er die Absicht hätte, zu verkaufen. So wie ich ihn kenne, hat er ihnen ins Gesicht gelacht oder selbst ein Schutzgeld vorgeschlagen. Doch die beiden gehen nicht auf ihn ein. Sie sind da, um zu kaufen. Alles, so wie es ist.«
»Und war das Angebot gut?«
»Im Gegenteil, sie wollten nichts zahlen. Gerade genug, um die bisherigen Kosten zu decken. Sie wollten ihn mit einem warmen Händedruck loswerden. Und mein Freund lehnt ab. Vier Tage später wird sein Auto gestohlen. Es wird völlig zerstört in einem Graben gefunden, im Kofferraum zwei Säckchen Heroin. Zum Glück hat er einen Freund bei der Polizei, der die Sache durchschaut. Und zum Glück hat er den Diebstahl gemeldet. Er schließt die Baustelle und eine Woche lang passiert nichts. Dann, eines Montags, steht Antonio Marsigli bei ihm im Büro.«
Er hält an einer Ampel.
Draußen beginnt es zu regnen. Um meine Gedanken nicht durchdrehen zu lassen, denke ich an die Katze, stelle mir vor, wie sie zusammengerollt in einer Sofaecke liegt und auf die Rückkehr ihres Herrchens wartet. Es wird grün, Ferrarini fährt los, streift mich mit einem abwesenden Blick und spricht weiter.
»Bedenken Sie, es ist das Jahr 1970, niemand hat je von Marsigli gehört. Mein Bekannter hatte ihn nie gesehen. Er sagt, er sei im Auftrag eines Unternehmens gekommen, dessen Interessen er vertrete und das die Baustelle kaufen wolle. Mein Freund erklärt ihm die Situation und tut dabei so, als argwöhne er nicht, dass Marsigli selbst hinter den Ereignissen stecken könnte. Der gibt sich sehr betroffen. Dann macht er sein Angebot. Es ist höher als das vorhergehende, aber noch immer weit unter dem eigentlichen Wert.«
»Und Ihr Freund lehnt wieder ab.«
»Natürlich. Marsigli geht, lässt aber nicht locker. Ein paar Wochen lang meldet er sich jeden Tag. Er handelt, das Angebot steigt, sie treffen sich erneut, mit dem gleichen Ergebnis. Zwei Wochen später ist die Baustelle wieder in Betrieb. Es vergehen zehn Tage, dann bricht jemand in den Laden des Schwagers meines Freundes ein, klaut alles, zerstört die Einrichtung und legt Feuer. Zwei Tage darauf nimmt mein Freund Marsiglis Angebot an, das Immobilienunternehmen Mercurio wird Eigentümer des Baulandes und der Baustelle. Ein Jahr später zieht mein Freund nach Turin. Doch zuvor kommt er zu mir, erzählt mir die ganze Geschichte und bittet mich um einen Gefallen.«
Der Wagen verlangsamt und parkt vor dem Bahnhof. Ferrarini schaut auf die Uhr.
»Wir haben gerade noch Zeit, zum Ende zu kommen.«
»Er bittet Sie um einen Gefallen.«
»Ganz genau. Er will wissen, wer hinter der Mercurio steckt. Und er hofft, dass ich durch meine Arbeit an Informationen rankomme. In Wirklichkeit ist alles ziemlich einfach. Überdies arbeiten sie mit der BCM zusammen. Die Welt ist klein, nicht wahr? Also gehe ich eines Abends zu ihm zum Abendessen und erzähle ihm, was ich herausgefunden habe. Ein Teil der Mercurio gehört zwei Finanzunternehmen, ebenfalls aus der Schweiz. Der Hauptanteil jedoch liegt in den Händen zweier Frauen. Die beiden Grazien, wie die Frau meines Freundes sagte. Denn beide hießen Grazia. Eine war mit Marsigli verwandt.«
»Strohmann.«
»Darüber besteht kein Zweifel. Ein Blick in die Konten der Finanzierungsgesellschaften genügte. Die Mercurio gehörte den Schweizern. Auch die Anteile, die nicht auf ihren Namen liefen. Sie hatten Geld zu investieren und keine Lust, das Gesicht hinzuhalten. Erinnert Sie das an was? Ach, ich vergaß. Die Finanzierungsgesellschaft, der die Mercurio gehörte, war dieselbe, die was mit dieser israelischen Lemon Bank zu tun hatte.«
»Das Geld der Capobiancos«, raune ich.
Ich starre ihn an. Ich muss meinen Gedanken aussprechen, um zu begreifen, dass er wahr ist.
»Sie haben mir gerade gesagt, dass ein
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