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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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Zeittafel, in der je nach Blickwinkel alles miteinander zusammenhängen oder völlig wirr sein könnte.
    Die Erde dreht sich nicht, wenn man in ihr steckt. Ein echter Bezugspunkt zu den Ereignissen lässt sich nur aus der Ferne ausmachen, und in jenen Tagen verbringe ich Stunden damit, mich zu fragen, ob ich überhaupt genügend Distanz zu den Fakten habe, um sie erfassen zu können. Ob sich angesichts der Zeit und der Gefühle, die sich mit dem Gelesenen mischen, eine Spur ergibt oder ich im Abseits lande.
    Ich kann mich einfach nicht entscheiden und wie so oft entscheidet jemand anders für mich.
    Der Anschlag auf Domenico Graffeo ist nur einen Tag in den Zeitungen, und das auch nur auf den hinteren Seiten, wo der flüchtige Leser gar nicht hinkommt.
    Als die Woche um ist, beschließe ich, Daniele nicht anzurufen. Ein feiger Zug, um das Problem zu umgehen und seinen Absichten auf den Zahn zu fühlen.
    Zwei Tage später ruft er an. Er fragt mich, ob ich mit Adriano geredet habe. Ich lüge, ohne nachzudenken. Er will nicht wissen, was wir einander gesagt haben, und schlägt mir ein Treffen vor.
    »Darüber reden wir direkt«, sagt er.
    Gleich darauf legt er auf. Und an diesem Punkt gibt es kein Alibi mehr.
     
    »Ich muss aus dem Haus, komm mit.«
    Mein Vater lässt mich noch nicht einmal anfangen. Kaum habe ich ihm gesagt, dass ich ihn sprechen muss, unterbricht er mich und verschwindet im Nebenzimmer. Als wir fünf Minuten später den Aufzug verlassen, hat noch immer keiner von uns beiden ein Wort gesagt. Erst im kleinen Park hinter dem Kiosk fangen wir an zu reden.
    »In der Wohnung wird nicht mehr gesprochen, verstanden?«
    Der Ton ist derselbe, mit dem er mich als Kind zurechtgewiesen hat. Allerdings kann ich ihn nicht mehr hinnehmen wie früher.
    »Darf man fragen, was mit dir los ist?«
    Er deutet ein flüchtiges Lächeln an, das mich kein bisschen beschwichtigt. Er sitzt da, keinen Meter von mir entfernt, mit seinem schlohweißen Haar, und scheint sich zu fragen, wie man so blöd sein kann, noch eine Erklärung zu brauchen.
    Also beschließe ich, dass ich nicht länger warten will.
    »Du hast Solara nicht erfunden.«
    Sofort wird er mehr als ernst.
    »Nein, das habe ich nicht. Aber das ist es nicht, worüber du mit mir reden willst.«
    »Du hast recht, im Grunde bin ich gar nicht zum Reden gekommen. Ich will nur kapieren, ob du noch genügend Mumm hast, wieder deinen Job zu machen, statt mir Schwachsinn zu erzählen. Und zwar mit mir.«
    Er wirkt verblüfft.
    »Offenbar hat dir das Geschenk gefallen.«
    Ich gehe darüber hinweg und erzähle ihm von Arianna, Daniele und Graffeo.
    Er hört mir zu, nickt hin und wieder. Schließlich blickt er sich um und trommelt sich mit den Fingern aufs Bein, als würde er Klavier spielen. Dann sieht er mich jäh an.
    »Elena hat Solara erfunden«, fängt er an. »Und ich bin noch nicht mal sicher, ob sie ihn wirklich erfunden hat.«
    »Glaubst du, sie wusste, wer er ist?«
    Er zuckt die Achseln.
    »Bis vor ein paar Tagen wusste ich noch nicht einmal, ob es sinnvoll ist, im Präsens zu sprechen. Dann bist du zu mir gekommen, hast mir erzählt, was du mir erzählt hast, und dann sind wir unterbrochen worden.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Ich habe kein Päckchen erwartet, weder ein Buch noch sonst was. Ist es jetzt klarer?«
    Ich versuche, die Spannung mit einem Lächeln zu lösen.
    »Was war drin?«
    »Ein paar Fotos. Du beim Betreten meines Hauses. Ich auf dem Weg zum Zeitungskiosk.« Er macht eine Pause. »Und eine Karte mit einem Satz. Wir durften niemandem etwas sagen. Das haben wir sofort nach unserem ersten Treffen mit Giuseppe beschlossen. «
    »Hast du die Wohnung abgesucht?«
    »Wanzen? Und wieso sollte ich? Wenn sie mich überraschen wollen, bitte sehr. Ich kann es nicht verhindern. Aber ich will ein paar Vorkehrungen treffen und ihnen das Leben schwermachen. Deshalb sind wir hier.«
    Er schlägt die Zeitung zu. Lächelt.
    »Vielleicht fragst du dich, wieso ich dir nach dieser Art Warnung Elenas Unterlagen gegeben habe. Was hätte ich sonst tun sollen? Du hättest nicht lockergelassen. Seit du das Gericht betreten hast, steckst du bis zum Hals drin. Vielleicht auch schon länger. Sie haben dich reingezogen. Oder besser uns: Das ist eher meine Geschichte als deine. Ich musste nur abwarten, wie du reagieren würdest, und dir dann die Möglichkeit geben, nicht allein zu bleiben.« Er macht eine Pause. »Im Grunde wolltest du das doch dein ganzes Leben lang, in einen

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