Bleiernes Schweigen
Zufall zu verdanken. Man will Sie umbringen. Das ist uns doch wohl beiden klar, oder?«
Der Patient nickt.
»Schön. Dann können wir ja dahin zurückkehren, wo wir angefangen haben.«
Er deutet mit dem Kinn auf den Wachmann.
»Der Bulle da draußen – ich nenne ihn so, damit Sie mich besser verstehen – soll Sie auch beschützen. Man weiß nie, ob nicht doch einer versucht, den Job zu beenden. Das wäre sicher ziemlich einfach, bei all den Schläuchen, dem Tropf, den Geräten. Meinen Sie nicht?«
Graffeo zuckt mit den Achseln. Er versucht sich aufzurichten. Daniele steht auf, hilft ihm, steckt ihm das Kissen in den Rücken.
»Und wenn ich Ihnen sagen würde, Sie können gehen?«, raunt er. »So übel zugerichtet, wie Sie sind, könnten Sie gar nicht fliehen. Sie werden mit Schmerzmitteln vollgestopft, und bestimmt lässt sich die Dosis in Absprache mit dem zuständigen Arzt erhöhen. Hier kommt man nicht raus. Aber wenn dieser Beamte öfter einen Kaffee trinken gehen würde oder mit anderen Dingen beauftragt wäre … Es gibt einen Haufen schlimmer Leute in der Welt …«
Daniele rückt ein letztes Mal das Kissen zurecht und setzt sich wieder hin.
»Dottore, das ist Erpressung.«
»Ganz offensichtlich, Graffeo.«
»Sie sind nicht für meine Sicherheit zuständig.«
Daniele lächelt.
»Wie Sie wollen. Sie haben die Wahl.«
Er macht Anstalten, aufzustehen.
»Warten Sie.«
Der Richter sieht ihn an.
»Worüber wollen Sie reden?«
Daniele setzt sich.
»Wir machen es so. Ich erzähle Ihnen eine Geschichte. Und dann wollen wir sehen, was Sie mir erzählen. Klingt das wie eine faire Lösung?«
Graffeo antwortet nicht. Daniele rollt den Stift zwischen den Fingern. Dann redet er mit ihm über den Tod Reales und Michelas, über das, was ich ihm erzählt habe, über sämtliche Verbrechen, die gegen ihn sprechen. Er klingt, als verlese er Ermittlungsergebnisse, ohne einmal die Stimme zu heben. Ohne einmal den Blick von ihm abzuwenden.
Schließlich lässt er den Stift fallen.
»Ignazio Solara also.«
»Was soll ich Ihnen sagen, wo Sie doch schon alles wissen?«
»Ihre Auffassung und meine Auffassung von alles gehen ziemlich auseinander. Sagen wir, ich will alles wissen, was mir fehlt.«
Graffeo scheint nachzudenken.
»Ich weiß nichts über diesen Solara.«
Daniele atmet tief durch.
»Deshalb haben Sie mir diesen Namen zugeraunt, richtig? Oder vielleicht haben Sie ihn im Delirium gestammelt, als Sie dachten, Sie müssten sterben? Das wäre noch lustiger, finden Sie nicht?«
»Ich weiß nicht, wer Solara ist, Dottore.«
»Aber sicher, sicher. Sie wissen nicht, wer …«
»Dottore, hören Sie mir zu? Ich hab gesagt, ich weiß nicht, wer er ist. Nicht, dass ich nicht weiß, dass er existiert.«
Daniele sieht ihn an. Domenico Graffeo hat dunkle Augen. Seine Hände liegen in seinem Schoß auf dem Laken. Er spielt mit seinen Fingern. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand reibt er über den der linken und umgekehrt. Ununterbrochen, wie ein Metronom. Doch inzwischen ist der Rhythmus sehr viel schneller geworden.
»Sind Sie sicher, dass Ignazio Solara existiert?«
»Trauen Sie mir nicht, Dottore?«
»Antworten Sie.«
»Er existiert, er existiert.«
»Und lebt er noch?«
Graffeo lächelt.
»Dottore, Leute wie Solara sterben nie.«
»Antworten Sie.«
»Er lebt.«
»Wissen Sie das sicher oder vom Hörensagen?«
»Sicher.«
»Sie haben ihn gesehen?«
»Nein, aber ich traue denen, die ihn gesehen haben.«
»Also wissen Sie es vom Hörensagen.«
»Wie Sie meinen, Dottore.«
»Wissen Sie, wie man ihn treffen kann?«
Die Finger halten inne, er sieht ihm in die Augen. Ein Lächeln erscheint auf seinen Lippen. »Niemand kann Ignazio Solara treffen. Nicht einmal die Freunde meines Onkels.« Er grinst. »Fragen Sie doch mal Riina und Provenzano. Die wissen’s vielleicht.«
»Graffeo, halten Sie mich nicht zum Narren. Erinnern Sie sich an das Angebot, das ich Ihnen gemacht habe?«
Er dreht sich Richtung Tür.
»Der Schutz, na sicher. Ich erinnere mich. Wissen Sie, was das Problem ist, Dottore? Dass ich am Arsch bin. Sie haben recht, ich führe Sie spazieren, ohne zu wissen, wohin. Und wissen Sie, warum? Wenn ich nicht mit Ihnen rede und Sie mir den Personenschutz verwehren, kann es sein, dass jemand hier aufkreuzt und mich kaltmacht. Kann passieren, völlig richtig.« Er macht eine Pause. »Schon möglich, hab ich mich klar ausgedrückt? Wissen Sie, wie viele nach so einer Sache, wie sie mir
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