Bleiernes Schweigen
gestützt, den Blick in die Bäume gerichtet. Ab und zu schließt er die Augen.
Wir haben beschlossen, dass diese Runde durch den Park nach dem Zeitungskauf zur Gewohnheit wird. Wir können reden, fallen nicht auf, können merken, ob jemand und wer uns folgt.
»Ein Kollege meinte, er fühlte sich mit einem Schlag in die Siebziger zurückversetzt. Damals wartete man darauf zu erfahren, auf wen geschossen worden war, ob er durchgekommen war, und man hoffte, dass es einen nicht selber treffen würde. Mit den Ermittlungsbescheiden war es das Gleiche. Nur mit weniger persönlichen Risiken und sehr viel mehr Spaß.«
Adriano lächelt. Er nennt den Namen eines berühmten Journalisten.
»Er hat einen kleinen Wettzirkel aufgestellt. Wer als Nächster dran wäre. Man musste den genauen Tag raten und ob er verhaftet werden würde oder nicht. Ich habe fast immer gewonnen. Es war ekelhaft. Und genauso ekelhaft ist es zu Ende gegangen.«
Er dreht sich um und sieht mich an.
»Also?«
Ich versuche, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich erzähle ihm, was Daniele mir geraten hat.
»Eine kluge Idee. Und die einzige Möglichkeit, die uns bleibt.«
»Uns?«
Er macht ein verblüfftes Gesicht.
»Uns, ja. Ich dachte, wir hätten eine Abmachung.«
»Ich dachte, du wolltest dich zurückziehen.«
»So alt bin ich nun auch wieder nicht.«
Er holt eine Schachtel aus der Tasche und steckt sich ein Bonbon in den Mund, ohne mir eines anzubieten.
»Ich habe den Chefredakteur angerufen.«
»Wie bitte?«
Mein Vater meint damit nur einen: den, der an der Spitze der Zeitung steht, für die er immer geschrieben hat. Egal wer diesen Posten bekleidet, er hat nie einen Eigennamen.
»Den Chefredakteur, ja. Wir brauchen Unterstützung. Natürlich habe ich ihm nicht gesagt, was wir in der Hand haben. Ich hab ihn ein bisschen bearbeitet, er hat angebissen, und dann habe ich ihm den Mund damit wässrig gemacht, dass ich wieder regelmäßig schreiben würde. Er hat gegrinst, dieser Mistkerl. Ich weiß es, auch wenn ich es nicht sehen konnte.« Er sieht mich an. »Ich habe ihm von dir erzählt.«
»Na, da wird er sich aber gefreut haben.«
»Du verstehst einen Scheißdreck. Das war schon immer so. Offenbar schätzt er dich. Ihr habt wohl mal zusammengearbeitet, das wusste ich gar nicht mehr. Er hat so was gesagt wie, was für eine Verschwendung es sei, dass du diesen Blödsinn für Kinder schreibst. Du weißt, was ich denke, es ist mir nicht schwergefallen, ihm recht zu geben.«
Ich wechsele das Thema. Nachrufe gibt’s, wenn man unter der Erde liegt. Er hat sich noch immer nicht damit abgefunden, dass ich nach Elenas Tod nicht von seinem Geld leben wollte.
»Fangen wir bei den Anrufen an.«
»Die von Giordano und Occhipinti.«
»Genau die. In Elenas Unterlagen gibt es eine zweiseitige Liste. Darauf stehen sowohl Giordano als auch sein Vize Ceccarelli.«
»Und du hoffst, das sind die Leute des SISDE in Palermo.«
»Ja. Ich würde gern ein paar Stichproben machen. Mit etwas Glück reicht eine Google-Suche. Wenn jemand von denen Karriere beim Geheimdienst gemacht hat, kann man da anfangen.«
Ich blicke mich um. Der übliche Labrador mit seinem üblichen Herrchen. Ich warte, bis sie vorbei sind. Mein Vater lächelt.
»Der ist schon seit Jahren hier.«
Ich tue so, als verstünde ich nicht.
»Der Junge mit dem Hund«, erklärt er. »Ich sehe ihn jeden Morgen. Der ist nicht wegen uns hier, wenn du das gedacht hast.«
Adriano nimmt sich noch ein Bonbon.
»Die sind schlimmer als die Glimmstängel«, murmelt er. »Wer ruft Giordano an?«
Ich antworte sofort.
»Jemand, der es gesehen hat.«
»Jemand, der es gesehen hat, genau. Gehen wir erstmal weiter davon aus, dass der Bombenleger ein Cosa-Nostra-Mann war.«
»Erstmal?«
Mein Vater zuckt mit den Achseln.
»Da steckt zu viel Staat in diesem Scheißhaufen. Zu viel, als dass sie nicht mitgemischt hätten.«
Ich sage nichts. Es ist schwer, ihm zu widersprechen.
»Also«, fängt er wieder an, »jemand sieht die Bombe hochgehen und tätigt diesen Anruf. Und er muss sicher sein, dass alles gelaufen ist, wie es sollte, dass Borsellino tot ist.«
»Er muss es also genau gesehen haben.«
»Richtig. Nehmen wir an, im Castello säße tatsächlich der Geheimdienst. Mit einem richtig fetten Objektiv kann man die ganze Sache genau beobachten.«
»Und das bedeutet, man weiß, wann es passieren soll.«
Adriano schweigt ein paar Sekunden.
»Offensichtlich«, sagt er. »Und nicht nur das. Man
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