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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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nachzudenken. Und bin der Erste, den die Entschlossenheit meiner Worte überrascht.
    »Ich will wissen, wie Elena gestorben ist. Ich will wissen, wer sie umgebracht hat und warum, was sie herausgefunden hat. Ich will wissen, was mein Leben bis heute gewesen ist. Ich muss eine Erklärung finden. Ich bin wie versteinert, Daniele. Bewegungsunfähig seit dem Tag des Unfalls und so voller ungestellter Fragen, dass ich mich an manchen Morgen nicht im Spiegel ansehen kann.« Ich sehe zu Boden. »Das schulde ich meiner Tochter, meiner Frau. Ihrer Arbeit, ihrer … ihrer … Elena und Giulia sind alles, was ich in meinem Leben hatte, verstehst du? Und jetzt bleibt mir nichts mehr.« Ich verstumme. »Ich habe zu viel Zeit verloren«, flüstere ich.
    »Weißt du, was das bedeutet?«
    Daniele sieht mich an. Er wartet, dass ich etwas sage, beobachtet die Wirkung seiner Frage. Doch es kommt nichts. Es gibt nichts, das ich sagen könnte. Ich sehe auf, sehe ihm in die Augen. Ohne Wehmut, ohne Trauer, ohne Zweifel. Plötzlich wird er sehr ernst.
    Er setzt sich auf den Boden und fängt an, Elenas Unterlagen durchzugehen. Er legt Blätter zur Seite, schiebt Ordner zusammen, stapelt Papiere. Dann steht er auf, zieht eine Sammelmappe aus einer Schublade und legt alles hinein, was er ausgesucht hat.
    »Oben steht ein Schlafsofa. Heute Nacht schläfst du hier. Fang damit an, dir diese Dinge anzusehen. Dann kommst du von allein drauf, was du zu tun hast, du wirst sehen.«
    »Und du?«
    Mit einer Geste erfasst er Elenas gesamte Unterlagen, die noch über den Boden verteilt liegen.
    »Ich kann’s mir nicht leisten, die Nacht durchzumachen. Nicht jetzt. Und hierüber könnten wir tagelang reden. Lass uns daran arbeiten.«
    Er verstummt. Wägt ab.
    »Versuch nicht, meine Arbeit zu machen. Such nach einem roten Faden und folge ihm. Und zwar aus der Ferne, das wäre besser. Umgeh die Sache an sich, lass dir Zeit.«
    Er macht eine Pause. Atmet durch. Sieht mir ins Gesicht.
    »Wenn du die Sache bei den Hörnern packst und dich mitten reinwirfst, reißen sie dich in Stücke.«
     
    Der Arzt lächelt einer Schwester zu und geht den Flur hinunter. Er trägt den Kittel offen, hat die Hände in die Taschen gesteckt. Sein Dienstausweis baumelt neben dem obersten Knopf.
    Er steht vor dem Getränkeautomaten, wartet auf den Kaffee, nippt bedächtig am Plastikbecher, tut so, als suchte er etwas in seinem Handy, sieht auf die Uhr, wirft den Becher in den Mülleimer, geht am Warteraum vorbei und biegt um die Ecke.
    Das Zimmer ist ein paar Meter weiter.
    Zielstrebig geht er an den Wachpolizisten vorbei, betritt den Raum und schließt die Tür.
    Wäre er wirklich ein Arzt, würde er den Patienten nicht wecken. Doch für das, was er vorhat, braucht er dessen ganze Aufmerksamkeit. Er streckt die Hand aus und schüttelt ihn am Arm. Beim zweiten Versuch erreicht er, was er will.
    »Guten Tag, Domenico.«
    Für einen langen Augenblick sieht Graffeo nicht scharf. Dann reißt er jäh die Augen auf und versucht sich aufzusetzen. Der Mann lächelt und legt ihm die Hand auf die Beine. Das Licht im Zimmer spielt mit der Farbe des Saphirs.
    »Du musst ganz ruhig bleiben, wenn du hier rauskommen willst. Und das willst du doch, oder?«
    Graffeo rückt das Kissen zurecht.
    »Was willst du?«
    Der Mann setzt sich auf das Bett.
    »Was ist denn das für eine Art, Domenico? Ich bin hier, um dir Grüße auszurichten.«
    »Das ist mir so was von scheißeg…«
    Ein Hustenanfall zerreißt den Satz. Der Mann bückt sich zum Nachttisch, füllt ein Glas mit Wasser und hilft ihm zu trinken.
    »Ich bin mit friedlichen Absichten gekommen, das weißt du. Hätten wir andere Pläne gehabt, lägst du jetzt ganz gemütlich ein paar Stockwerke tiefer in einem Kühlfach.«
    Graffeo bleibt mit dem Glas in der Hand sitzen. Die Ruhe dieses Typen hat ihm schon immer Angst gemacht. Schon beim ersten Mal, als er ihn im Haus seines Onkels getroffen hat. Er trinkt den letzten Schluck und stellt das Glas ab.
    »Sag mir, was du willst.«
    »Ich hab’s dir gesagt, ich soll dich grüßen.« Er macht eine Pause. »Der Werwolf lässt dich wissen, dass du getan hast, was du tun solltest.«
    Domenico Graffeo lacht ihm ins Gesicht.
    »Der Werwolf ist tot. Sonst wäre er selbst gekommen.«
    Der Mann streichelt ihm über die Wange.
    »Wenn du es sagst, Domenico«, flüstert er.
    Er sieht ihn lange an. Dann steht er auf und dreht sich an der Tür noch einmal zu ihm um.
    »Du hast Glück, weißt du? Du darfst am

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