Bleiernes Schweigen
herumzuschnüffeln. Jetzt hast du’s geschafft. Du sagst, dass du mir helfen willst. Wie lange sind wir jetzt befreundet? Zwanzig Jahre? Weniger, mehr? Wenn du mir wirklich helfen willst, sag mir, weshalb zum Teufel du hier bist.«
Andrea sieht mir in die Augen. Er wartet, bis ich zurückweiche, und zieht sich die Jacke zurecht. Als er redet, klingt er brüsker. Sein Gesicht ist angespannt.
»Hätte ich in deinen Sachen herumwühlen wollen, hätte ich das die beiden Male tun können, als du zu Daniele nach Florenz gefahren bist. Oder ans Meer, um mit diesem Polizisten zu reden. Und wenn ich gezwungen gewesen wäre, eine so dämliche Ausrede wie das Fußballspiel zu benutzen, um zu sehen, was du in deiner Wohnung versteckst, wäre jedes Staubkörnchen noch an seinem Platz gewesen. Das gilt für mich und auch für den, der dir heute Abend diesen Besuch abgestattet hat. Ist das klar? Oder willst du noch einmal nachsehen, ob etwas fehlt?«
Ich antworte nicht. Denke an den Stick in den Peperoncini. Er fährt fort.
»Ich sag’s dir noch mal. Das ist eine Warnung. Eine Sicherheitstür kriegt man nur mit Schlüssel auf. Wir sehen alles, wollen sie dir damit sagen. Wann wir wollen. Wie wir wollen. Und wir wissen, dass du das, was wir brauchen, immer bei dir hast, an deinem Schlüsselbund. Die Nachricht ist unmissverständlich. Das wäre sie auch ohne den Anruf gewesen.«
Mit seinen leuchtend grünen Augen sieht er mir direkt ins Gesicht.
»Du willst wissen, wer die sind? Berechtigte Frage, wenn auch überflüssig. Du hast es selbst gesagt, du kennst mich seit zwanzig Jahren. Ist eine Arbeit wirklich so wichtig? Um eines klarzustellen, ich bin nicht einer von denen, die dich angerufen haben. Bin es nie gewesen. Und ich muss dir nicht erklären, dass die keinen Spaß verstehen, stimmt’s?«
Ich setze mich. Ich wünschte, mein Herz würde aufhören zu schlagen, damit mir der Kopf nicht so dröhnte. Ich fahre mir mit der Hand übers Gesicht. Schweige. Die Wirklichkeit ist ein unaussprechliches Wort.
»Gehen wir«, sagt er. Ein Befehl, dem man gehorchen muss. Ich folge ihm zu seinem Auto, er lässt mich einsteigen. Schaltet das Radio ein. Ein uraltes Stück von Sting.
»Wieso sollte ich um dich weinen?«, heißt es darin.
Wenn ich nicht kurz vor einem hysterischen Anfall stünde, könnte ich fast lachen. Andrea hingegen ist noch immer allzu ruhig. Er dreht sich zu mir.
»Weißt du, früher hieß es, der italienische Geheimdienst teile sich in Israel-Befürworter und Palästinenser-Unterstützer. Ein eher politischer denn tatsächlicher interner Bruch. Heute sind die Fronten anders und die Beweggründe ebenfalls. Und du stehst an einem Scheideweg, vor einer knallharten Wahl. Nicht gerade das, was dir liegt, wenn ich mich recht erinnere.«
Er holt einen Umschlag aus dem Handschuhfach und legt ihn sich in den Schoß.
»Verzeih die vornehme Metapher, aber wenn man in Scheiße tritt, hat man zwei Möglichkeiten. Entweder macht man sich die Schuhe sauber und passt auf, wo man hintritt, oder man zieht sich neue Schuhe an und wechselt, wenn möglich, die Richtung.«
»Bestimmt hast du eine Idee.«
Meine Stimme klingt nach einer endgültigen Niederlage. Andrea schüttelt den Kopf.
»Nein, ein neues Paar Schuhe.«
Er hält mir den Umschlag hin. Ich öffne ihn, lese, zähle eins und eins zusammen. Ich kann es mir leisten. Aber ich begreife immer noch nicht.
»Wie gesagt«, antwortet er. »Eine knallharte Wahl. Glaubst du, du könntest sofort alles fallen lassen? Glaubst du, sie würden es dir erlauben? Glaubst du, du kriegst deine Schuhe ganz sauber, ohne dass ein Fleck, ein Zweifel, eine Ahnung bleibt? Dieser Umschlag hilft dabei nicht. Oder glaubst du, du musst rausgehen und dich unter die Menschen mischen? Du hast die Wahl. Jetzt. Es gibt keinen sicheren oder unsicheren Weg. An dem Punkt, wo du jetzt bist, stößt du auf beiden Wegen auf die gleichen Schwierigkeiten. Mit einem entscheidenden Unterschied. Der eine bedeutet hoffen und warten. Der andere, dass du versuchst zu verstehen.«
Ich sehe ihn an. Dann lese ich noch einmal. Ich denke an meinen Vater, an meine Frau, an Giulia, die mir schon unendlich lange fort zu sein scheint. An den Polizisten und seinen Satz. An die Tatsache, dass ich kein Held und noch nicht einmal ein anständiger Mensch bin.
An diese Stimme am Telefon. Ohne Akzent, ohne Regung.
An die brennenden Lichter in der Wohnung.
An das Zigarettenpäckchen auf dem Tisch.
Ich bin müde. Ich bin
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