Bleiernes Schweigen
dreht sich um, lässt sich gegen die Rückenlehne fallen und redet weiter.
»Es ist fast alles wahr«, wiederholt er. »Zumindest bis zur Flucht.«
Ich flüstere. Seit ich ihn kenne, ist es das zweite Mal, dass er mich wütend macht, und ich darf nicht schreien.
»Das Fast interessiert mich nicht. Und auch das Vielleicht nicht. Deine Verwandlungsspielchen, fremden Akzente und Varietékunststückchen interessieren mich nicht. Der Roman deines Lebens interessiert mich nicht, und der Scheißdreck, den du dir erzählst, wenn du dich morgens im Spiegel siehst, ebenso wenig. Du interessierst mich nicht. Du weißt, auf welche Geschichte ich aus bin. Du weißt, was ich hören will. Du warst Faschist? Pech für dich. Ich habe auch mal rechts gewählt, und der Grund ist mir bis heute nicht klar. Du bist ein Mörder, hast du gerade gesagt. Die Gerichte wissen es, in den Urteilen steht’s, wir beide wissen es. Ich wusste es schon, ehe ich dich getroffen habe. Aber ich bin hier. Und ich habe dich nicht verurteilt. Also tu mir bitte den Gefallen und führ nicht deine Patrizio-Benetti-Show auf. Ich weiß, was dahintersteckt, und ich bin nicht eine deiner Tresenbekanntschaften.«
Ich hole tief Luft und merke plötzlich, dass ich eine Scheißangst habe. Und den kinoreifsten Auftritt meines Lebens hingelegt habe, vor einem Mann, der keine Skrupel hat, dem Liebhaber seiner Freundin den Schädel wegzupusten. Einer, der sich mit Neofaschisten, Bomben, Geheimdiensten, Dieben und Hehlern getummelt hat. Und der Cosa Nostra eingeflüstert hat.
Doch mein Gegenüber überrascht mich zum zweiten Mal. Er tut so, als würde er applaudieren. Er macht dabei nicht das kleinste Geräusch und behält meine Reaktion im Auge. Ich versuche, mich nicht zu rühren. Wie festgenagelt sitze ich in meinem Sessel, die Hände im Schoß, und warte auf den Gegenschlag. Stattdessen bekomme ich ein Zugeständnis zu hören.
»Klar habe ich Geheimdienstler gekannt. Und ich weiß Dinge über die höchsten Neofaschisten-Kreise, die mich völlig kaltgelassen haben und mich auch heute noch völlig kaltlassen. Mein Leben ist zu lang und abenteuerlich, als dass wir hier genug Zeit hätten, es ganz zu erzählen.« Er deutet ein Lächeln an und fährt sich ordnend durch die Locken. »Andererseits bist du müde und willst morgen wieder fahren, nicht wahr?«
»1981 werde ich verhaftet, aber sie verhaften nicht mich.
Seit ein paar Jahren bin ich in Italien. Auch wegen der Bombe am Bahnhof von Bologna werde ich gesucht. Fascho, jung und an besagtem Augustsamstag in der Stadt. So heißt es zumindest. Vielleicht ist es Pech.
Zu der Zeit arbeite ich als Hehler. Das ist ein bisschen so wie klauen, aber in der Haut eines anderen. Vor allem Juwelen. Ich habe einen Kanal mit einem Sammler aufgetan, der mich mit einem anderen Sammler bekanntgemacht hat, und so weiter.
Es sind fünf oder sechs. Sie wollen nur die ganz großen Dinger und zahlen gut. Ich werde noch wegen des Liebhabers meiner Freundin gesucht. Jemand hat mir erzählt, nach dem Tod dieses Arschlochs hätte sie ein Jahr lang nicht geredet. Sie haben ihn anhand der Zähne identifiziert. Die hätte ich ihm auch noch wegschießen sollen. Und was sie betrifft, wen juckt’s, oder?
Wo war ich stehengeblieben? Ach ja. Die Juwelen und die Sammler und so. Wenn du dich fragst, wie ich die kennengelernt habe, kannst du die Frage gleich wieder vergessen. Du kannst dich auf den Kopf stellen und ich verrat’s dir nicht. Aber was ich dir verraten kann, ist, dass ich sie gut über den Tisch gezogen habe.
Ich tat so, als wäre ich Portugiese. Bernardo Pais. In Brasilien war ich gewesen, ich konnte die Sprache gut, und die Typen, mit denen ich zu tun hatte, waren Italiener, ein bisschen tropischer Akzent reichte, um die zu überzeugen. Ich hatte mir die Haare lang wachsen lassen und zog mich an wie Gregory Peck in The Boys from Brazil . Ein großartiger Film, kennst du ihn?
Am Ende wird das Gerede über diesen Portugiesen zu laut und sie schnappen mich. Ich habe falsche Papiere, klar. Schließlich bin ich kein Anfänger. Und ich habe nicht die geringste Absicht, meine Identität preiszugeben. Hättest du das gemacht? Sie suchen mich wegen Bologna, da wäre ich schön blöd.
Immerhin hält der Bluff ein paar Monate. Bestimmt meint es auch jemand gut mit mir, denn der Kommandant des Militärbezirks, bei dem ich gemustert wurde, versucht die Mappe mit meinen Fingerabdrücken verschwinden zu lassen. Es konnte nicht ewig
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