Bleiernes Schweigen
gutgehen und das tat es auch nicht. Sie identifizieren mich, verhören mich wegen des Attentats in Bologna, kapieren, dass ich nichts damit zu tun habe, aber auch, dass ich ein bisschen mit gestohlener Ware gedealt habe, Juwelen und Wertgegenstände aller Art. Also wird Anklage erhoben, und obendrein lassen sie mich die Strafe für den Mord an diesem Arschloch abbrummen. So startet meine kleine Tour durch die heimischen Knäste.
Dabei lerne ich Donnie kennen. Im Knast in Sizilien. Erst Sciacca, dann Palermo. Wir haben Tressette zusammen gespielt und er hat immer verloren. Nicht um Geld, wäre schön blöd von mir, der Mafia Geld abzuknöpfen. Wir vertrieben uns die Zeit.
Ein Mann, vor dem man Respekt haben muss. Einen Heidenrespekt. Ich glaube, zumindest damals hat er mir vertraut.
Im Knast lerne ich auch einen Kalabresen kennen. Einen von den großen Tieren. Für die habe ich ein paar Dinger gedreht. Aber das geht dich nichts an.
Jetzt musst du mich kurz entschuldigen. Ich brauche was zu trinken. Willst du noch was?«
»Ich glaube, zumindest damals hat er mir vertraut.«
Dieser Satz will einfach nicht verschwinden.
Sein Freund Donnie, der schlechte Tressette-Spieler, ist Donato Patti, der Cousin von Antonio The Hand Baldacci. Waschechter Mafia-Adel. Der Mann mit den geklonten Telefonen, dem Taschenkalender der Abgeordnetenkammer, dem Capaci-Attentat.
Der Typ, mit dem ich rede und den ich aus dem Augenwinkel beobachte, während er am Tresen etwas zu trinken bestellt, spielte Karten mit dem Mann, auf den Elena einen Teil ihrer Arbeit verwendet hat.
»Ich glaube, zumindest damals hat er mir vertraut.«
Diese Worte sind wichtig. Für mich. Für Patrizio Benetti, der mit einem Glas voller orangefarbener Flüssigkeit zurückkehrt. Für die Cosa Nostra. Für Donato Patti.
Sein Tressette-Partner wird sich in der Zelle umbringen. Ein paar Monate nach seiner Verhaftung und zwei Tage nach den Bomben von Mailand und Rom hängt er sich an den Gitterstäben auf. Es bleibt noch nicht einmal Zeit, ihm Falcones Tod zur Last zu legen.
Er hinterlässt eine Nachricht. Darin steht, er habe es getan, um eine Blutrache an seiner Familie zu vermeiden. Es wird vermutet, er wäre kurz davor gewesen, mit der Justiz zusammenzuarbeiten, konnte es jedoch nicht zulassen.
Ich bin das Ende von allem, schreibt er.
Und Patrizio Benetti ist ein V-Mann.
»Willst du wirklich nichts trinken? Nicht mal einen kleinen Schluck?«
Ich schüttele den Kopf. Ich kann ihn nicht mehr genauso sehen wie vorher. Etwas, das in mir aufkeimt und stirbt. Er ist keine Romanfigur. Dazu fehlt ihm die Epik, die Kraft, der Charakter. Er ist kein Film-Bösewicht, dazu ist er zu sehr Marionette. Er ist kein guter Schauspieler, die Maske sitzt nicht richtig.
Er ist ein Relikt aus einer Welt, die den Ruin überlebt hat. Eine ferne Epoche, die die Gegenwart infiziert und die Zukunft im Blick hat. Wenn er eines Tages stirbt, wird ein anderer an seine Stelle rücken und niemand wird sich je an ihn erinnern.
Deshalb will ich seine Geschichte. Nur einen kleinen Teil davon. Nämlich den, den er jetzt nach einem Schluck und einem belanglosen Scherz zu erzählen beginnt.
»1991 bin ich mal wieder raus. Ich arbeite als Prüfer bei einer Bekleidungsfirma. Ich überwache die Arbeit der Vertreter, sorge dafür, dass es keine Probleme gibt, und weise die neuen Mitarbeiter ein. Häufiger muss ich längere Reisen unternehmen. Vor allem in den Süden. Es gibt Zahlungsschwierigkeiten, um an sein Geld zu kommen, muss man schwitzen wie ein Marathonmann.
Und dazu habe ich nicht die geringste Lust. Außerdem steht mein endgültiges Urteil noch aus, und da ich erst seit kurzem für die arbeite, möchte ich einen guten Eindruck machen. Also wähle ich, wenn möglich, einen anderen Weg.
Einige Sizilianer zahlen seit fast einem Jahr nicht. Die Situation ist schwierig, mein Chef sitzt mir im Nacken. Schließlich kontaktiere ich Donnie. Ich treffe ihn in Sizilien. Das muss im November ’91 gewesen sein. Ich schildere ihm das Problem. Er ist unzugänglicher als im Knast, vielleicht schmeckt es ihm nicht, dass ich ihn um einen Gefallen bitte. Tatsächlich kann ich ihm keine Gegenleistung bieten.
Ich weiß sofort, wie es am Ende laufen wird. Er verspricht, sich drum zu kümmern. In Wirklichkeit passiert nichts. Ein paar Monate später kann ich wenigstens einen Teil dieses Geldes eintreiben, rund anderthalb Milliarden Lire. Und alles kommt in Ordnung.
Mit Donnie bleibe ich
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