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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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hier um zu spielen.«
    Sein Blick streift meine Hand kaum.
    »Wage es nicht, mich anzufassen«, sagt er.
    Und zum ersten Mal blitzt etwas durch, das seine kriminelle Vergangenheit verrät.
    Der Mann, den ich vor mir habe, ist ein Betrüger, ein Rauschgifthändler, ein Experte im illegalen Kunsthandel, ein Dieb, ein Mörder. Er kann seinen Akzent noch so sehr verstellen, sich noch so freundlich zeigen, seine Personalien und sein Aussehen noch so sehr verändern.
    Ich steige aus.
    Sechsunddreißig Stunden lässt er sich nicht blicken. Von Nachmittag bis Abend warte ich bei Sergio auf ihn.
    Ich trinke einen Mojito mehr als sonst und kehre mit duseligem Schädel und dem schnell gefassten Entschluss, mich noch einen weiteren Tag zu gedulden, ins Hotel zurück. Ich rufe Giulia an, ausnahmsweise zu einer ähnlichen Tageszeit. Ich benutze die Webcam, stelle sie anders hin als sonst und sage ihr nicht, wo ich bin. Sie stellt keine Fragen, erzählt mir von ihrem Leben in New York und dass sie sich noch immer nicht getraut hat, Ground Zero zu besuchen. Sie macht einen großen Bogen darum und achtet darauf, nicht zufällig dort zu landen. Für einen winzigen Augenblick erhasche ich auch Michaels Gesicht. Kaum sieht er die Webcam, verschwindet er hastig.
    »Ich will, dass du ihn richtig kennenlernst«, sagt Giulia. »Diese blöde Kamera ist schlimmer als ein Zerrspiegel.«
    Wir lachen.
    Sie ist anders schön als Elena, als wollte sie der Welt eine andere Möglichkeit bieten, die für ihre Mutter nie in Frage kam. Doch als der Monitor erlischt und ich allein zurückbleibe, spüre ich zum ersten Mal seit ewigen Jahren die Leere, die der Tod in meinem Leben hinterlassen hat. Ein Abgrund, der sich ganz plötzlich aufgetan hat und dessen wirkliche Ausmaße ich bis zu diesem Moment, da ich Tausende Kilometer weit weg von zu Hause an einem mir unbekannten Ozean in einem Fünf-Sterne-Hotel hocke und auf einen schauspielernden Mörder warte, nicht begriffen habe.
    Ich gehe hinunter, durchpflüge den Pool mit rasender, atemloser Wut. Dann stütze ich mich mit geschlossenen Augen auf den Beckenrand.
    »Ich dachte, du wolltest reden.« Diesmal ist sein Akzent portugiesisch.
    Ich öffne die Augen. Er steht am anderen Ende des Pools und sieht aus, als käme er direkt von den Dreharbeiten zu Scarface. Schwarzer Anzug, weißes Hemd mit riesigem Kragen, das fast bis zum Brustbein geöffnet ist. Auch die Schuhe sind weiß. Weiße Lackschuhe.
    Ich bleibe im Wasser und warte, bis er näher kommt. Langsam schlendert er zu mir herüber, wie ein Filmstar auf dem roten Teppich. Er nimmt in einem Liegestuhl Platz und lächelt.
    »Sergio hat mir gesagt, du seist weggegangen.«
    Ich stütze mich auf den Beckenrand.
    »Woher wusstest du, wo ich bin?«
    Er breitet die Arme aus, als wollte er die ganze Insel umarmen.
    »Ich lebe hier. Ist doch klar, dass ich weiß, wo du bist.«
    Ich antworte nicht. Eine halbe Stunde später sitzen wir mit dem üblichen Glas vor uns unter dem Laubengang, die soeben gestellte Frage in der Luft. Diesmal klingt er ernst.
    »Wieso sollte ich mit dir reden?«
    Ich tue so, als würde ich trinken, und schinde Zeit. Kaum hatte ich mich zu dieser Reise entschlossen, hatte ich mich das Gleiche gefragt. Und dann auch im Flugzeug und jeden Tag, den ich hier verbracht habe. Die Antworten waren immer anders, immer ähnlich und immer sinnlos.
    Ich bin es, der mit ihm reden muss. Es gibt keine Gegenseitigkeit, die Waage hängt nur zu einer Seite. Und jetzt, da ich eine Karte ausspielen und die Partie gewinnen muss, merke ich, dass ich ohne Strategie und Alternativen bin. Also beschließe ich am Ende eines der seltsamsten Abende meines Lebens und an einem Ort, an dem ich mich unwohl fühle wie selten, einem Mann, der unter falschen Namen lebt, das Einzige darzubieten, was ich in diesem Moment besitze.
    Die Wahrheit.
    Die ganze, von Michelas Tod bis zum heutigen Nachmittag. Ich erzähle ihm von Arianna und von meiner Frau, vermische Vergangenheit und Gegenwart, versuche, die Namen zu verschweigen, die ich nicht preisgeben will. Danieles zum Beispiel. Aber von dem, was mir widerfahren ist, verschweige ich nichts.
    Das ist die einzige Ressource, die ich habe.
    Er hört zu. Und zum ersten Mal, seit ich ihn kennengelernt habe, trinkt er wirklich. Irgendwann unterbricht er mich und bestellt noch ein Glas. Dann, als ich geendet habe, sitzt er schweigend da, das Glas zwischen den Händen und den Blick auf das Wasser des Pools gerichtet.
    »Entweder

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