Bleiernes Schweigen
das Meer gesehen hätten. Dann verstummt er eine Weile, macht einen Schritt auf mich zu und fängt wieder mit dieser Leier vom harten Knast an. Die müssen etwas tun, sagt er. Die müssen einen Weg finden, zu verhandeln, aus der Sache rauszukommen.
Dann schweigt er und sieht mich an. Von ganz nah. Er fragt mich, ob ich verstanden habe, was er gesagt hat. Er fragt mich, ob wir kapieren, wo das Problem liegt.
Wir. Wieder ich auf der einen und er auf der anderen Seite. Ich weiß noch, dass ich genickt habe. Zweimal.
Gut, hat er gesagt. Gut.
Und dann haben wir über die Denkmäler gesprochen.«
»Ihr habt darüber gesprochen? Wer hat mit wem gesprochen?«
Wieder gefällt ihm meine Unterbrechung nicht. Er zischt die Antwort heraus.
»Das ist eine Ewigkeit her, wie soll ich das noch wissen?«
»Du hast es ihm gesagt, richtig? Du hast ihm geraten, die Baudenkmäler hochgehen zu lassen, richtig?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
Ich stütze die Ellenbogen auf die Knie und beuge mich vor.
»Was, bitte, soll Donato Patti aus Altofonte von San Giorgio al Velabro oder der Accademia dei Georgofili wissen? Was, bitte, hat der mit einem Baudenkmal oder einer Kirche am Hut? Warst du es?«
Er trinkt und schweigt, ohne mich anzusehen.
»Warst du es? Verdammt noch mal!«
Er dreht sich um und ist plötzlich ganz nah. Sein Atem riecht nach Alkohol und instinktiv weiche ich zurück. Er lacht. Das Lachen einer Hyäne, die ihre Zähne zeigt.
»Ich war’s. Ja. Ich hab’s ihm geraten. Zufrieden? Du hast recht, was wussten diese vier Idioten schon davon? Was hatten die schon für eine Ahnung? Die hatten alle Fäden in der Hand, aber statt sie zu nutzen, haben die sich noch immer gefragt, wie sie diesen oder jenen Richter, Polizisten oder Politiker kaltmachen können.« Er trinkt. »Schwachköpfe …«, raunt er. »Willst du das Ende der Geschichte nun hören oder nicht?«
»Irgendwann habe ich gedacht, ich müsste sterben.
Das ist mir oft passiert in diesem Steinbruch und auch später. Aber nie war das Gefühl so stark wie in jenem Moment. Ich hatte nur eine Möglichkeit, um da rauszukommen. Und die habe ich genutzt.
Ihr habt ja nichts begriffen, sage ich ihm. Das kommt gar nicht gut bei ihm an. Er fragt mich, ob mir klar sei, was ich da gerade sage.
Ich zwinge mich zu einem Lächeln und entgegne, dass wisse ich sehr genau. Ich würde ihn und seine Welt respektieren, und genau deshalb hätte ich das gesagt. Er weicht einen Schritt zurück und sieht mich an. Da kommst du in dieses Scheißloch und willst uns die Welt erklären?
Ich habe zweimal geschluckt. Dann habe ich ihm erklärt, dass es Dinge gebe, die dem Staat – uns, habe ich, glaube ich, gesagt – sehr viel wichtiger seien. Da ist er hellhörig geworden. Als ihr Falcone umgebracht habt, habt ihr vielen Leuten einen Gefallen getan. Ihr habt darauf angestoßen, und das konntet ihr auch. Manch einer konnte das nicht, hätte es aber zu gern getan. Du erinnerst dich doch? Gut. Dann war Borsellino an der Reihe. Das gleiche Spielchen. Danach ist ein anderer dran. Die Menschen sind ersetzbar. Wie heißt es doch so schön? Der Papst ist tot, es lebe der Papst.
Aber wenn du die Kathedrale von Noto in die Luft jagst, was passiert dann? Den Dom von Palermo? Was glaubst du, würde passieren, wenn der Turm in Pisa einstürzt?
Ich habe einen Schritt auf ihn zugemacht. Die Menschen denken nur daran – und ich habe Daumen und Zeigefinger aneinander gerieben – und der Tourismus wirft ’ne Menge ab. Aber wenn die Touristen nicht mehr kommen, weil sie Angst um ihr Leben haben, sieht die Sache ganz anders aus.«
»Bestimmt seid ihr auch diesmal Mittagessen gegangen.«
Er unterdrückt ein Gähnen.
»Nein. Ich hatte zu tun und er auch.«
»In Kalabrien?«
»Irgendwo.«
Ich lasse die Fingerknöchel knacken. Es ist drei Uhr morgens und ich bin völlig am Ende, aber ich denke nicht daran, schlafen zu gehen, ehe er fertig ist. Ein zweites Mal wird er nicht reden.
»Hattest du nie ein schlechtes Gewissen?«
Er antwortet sofort und ohne nachzudenken.
»Nein. Hätte ich sollen?«
Ich muss ihn merkwürdig angesehen haben, denn er belässt es nicht dabei.
»Wenn du dich morgen mit einem Bekannten unterhältst, sagen wir, mit einem Freund, und ihm eine neue Sicht auf die Dinge darlegst, und er macht diesen Standpunkt zu seinem eigenen, verinnerlicht ihn und begibt sich damit auf eine ganz neue Reise, bist du dann schuld an dem, was ihm passiert? Und an den Folgen, die
Weitere Kostenlose Bücher