Bleischwer
Übrigen äußerst
kooperativ.«
»Er
hatte mit Stefan Winters Flucht nichts zu tun!«, rief Jule aus. »Das kann ich
bezeugen.«
»Nun
ja.« Das kam wieder von Wesseling. »Wir werden sehen.«
»Jetzt
beruhigen Sie sich mal, Frau Maiwald«, fuhr Angela Schneider unbeirrt fort.
»Vorläufig wird man Ihren Freund nicht verhaften. Machen Sie sich keine Sorgen.
Lassen Sie ihn erst einmal gesund werden. An der Hüfte und am linken Arm waren
Hautverpflanzungen nötig. Herr Faßbinder wird uns nicht weglaufen.«
»Ich
muss zu ihm!«, verlangte Jule heftig und wollte sich schon aus dem Bett
schwingen. Leider wurde ihr bereits beim Aufrichten schwindelig. Benommen sank
sie zurück auf das weiße, glatte Kissen.
»Halt«,
kommandierte der fette Kommissar unerbittlich und völlig unnötig. »Erst
benötigen wir Ihre vollständige Aussage.«
Michas Gesicht war so blass wie
das Einzelzimmer, in dem er lag. Jule erschrak, als sie ihn sah.
Hautverpflanzungen, dachte sie. Großflächige Verbrennungen. Sie selbst hatte
bloß eine leichte Rauchvergiftung und Probleme mit der linken Wade. Die Wunde
pochte und schmerzte. Der Verband darüber spannte. Wie schlecht erst musste
Micha sich fühlen?
Über
seine erschöpfte Miene schob sich bei ihrem Anblick ein erfreutes Lächeln, doch
in seinen Augen lag fiebriger Glanz. Jule humpelte näher und hockte sich auf
seine Bettkante. Fürsorglich betrachtete sie den Mann unter der gemangelten
Bettdecke, tastete sich mit vorsichtigen Blicken näher und verfing sich am Ende
in einem Sog von aufgewühltem Meergrün.
»Wie
geht es dir?«
»Besser.
Gerade in diesem Moment«, antwortete er warm.
Ihr
Herz ging auf. Hastig griff sie nach seiner Hand, fühlte aber nur Mullbinden.
Sie fuhr erschrocken zurück, doch Micha ließ sie nicht.
»Nein«,
flüsterte er. »Halt mich fest, bitte.«
Da
beugte sie sich vor und küsste seine Lippen, erst behutsam, dann heftiger. Es
fiel ihr schwer, sich loszureißen. Zu gut tat es, sich diesem Strudel aus Liebe
und Vergessen hinzugeben. Schließlich zwang sie sich in die Höhe, atemlos,
zerzaust und mit einem Herz, das im Stakkato pochte.
»Wesseling
und die Schneider waren eben bei mir«, berichtete sie, während sie ihr wirres
Haar ordnete. »Sie sagten, du hättest bereits eine Aussage gemacht.«
Micha
nickte. »Stimmt. Auf Anraten meines Anwalts. Ich hab den Bullen alles erzählt,
von vorne bis hinten. Wesseling wollte mich sofort einbuchten, da kam mein
Anwalt ihm damit, dass der Bankraub seit fast fünf Jahren verjährt sei und dass
aufgrund meiner Verletzungen wohl kaum Fluchtgefahr bestünde.« Er grinste müde.
»Ich habe nichts von der Verjährungsfrist gewusst. Scheiße. Konnte es erst gar
nicht glauben. Es ändert aber auch nichts daran, dass ich Stefan im Stich
gelassen und seinen Tod zu verantworten habe. Und Hermanns.« Er sah sie gequält
an. »Doch immerhin werden mir viele Jahre Haft erspart. Höchstens verknacken
die mich wegen Strafvereitelung und weil ich die Ermittlungen behindert habe.
Vielleicht wird auch meine Bewährung widerrufen. Keine Ahnung. Peanuts.«
Sanft
streichelte sie seinen Arm da, wo keine Verbände waren.
»Du
bist nicht schuld am Tod von Stefan oder Hermann«, beschwor sie ihn.
»Und
was ist mit Theisen?« Micha presste die Frage zwischen zusammen gebissenen
Zähnen hervor. »Hätte ich den Aschenbecher nicht geworfen, wäre Gertis
brennende Kippe nicht in die Benzinlache gefallen. Dein Mann ist qualvoll in
dem Feuer verbrannt, Jule. Genau wie Mel! Die lebte zu dem Zeitpunkt vielleicht
noch und wäre zu retten gewesen.«
»Hör
auf!«, stieß sie aus. Plötzlich musste sie weinen. Etwas in ihrem Inneren
zerriss. Schleusen öffneten sich gewaltsam. Es tat höllisch weh. »Es ist
furchtbar, keine Frage. Aber hättest du Jörg nicht … ausgeschaltet, wären Gerti und du in den Flammen verbrannt. Jörg hätte nicht
gezögert, glaub mir. Der war wild entschlossen und völlig neben der Spur!
Bitte, hör auf. Du hast das einzig Richtige getan!«
Eine
Flut von Tränen überspülte ihre Wangen. Jörg war tot und Melanie und Hermann
auch. Die Welt stand auf dem Kopf. Alles versank in Grauen und Chaos. Es gab
nichts mehr, das an seinem Platz war und Sicherheit gab. Täter, Opfer, böse,
gut, Retter, Mörder, Schuld, Recht, Unrecht. Ein heilloses Durcheinander. Und
jetzt stempelte sich Micha auch noch selbst zum Täter ab. Wieder mal. Der
einzige, der für sie eine Insel sein sollte. Das war zu viel. Jule
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