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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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irgendetwas blockiert,
Schätzchen. Er glaubt, es ist tief in deiner Vergangenheit verborgen. Deshalb
hat er mich um Rat gefragt. Weil ich dich von klein auf kenne. Von ›Kirschen‹
hättest du des Öfteren im Schlaf gesprochen. Hättest dich jedes Mal total
verkrampft und gestöhnt.«
    Jule
setzte sich auf. Sie hatte keine Ahnung davon gehabt, dass sie ihre Träume laut
preisgab.
    »Ich
träum halt manchmal von Oma Maiwalds Tod«, gestand sie leise. »Als sie wegen
der Kirschen, die ich unbedingt haben wollte, von der Leiter fiel und starb.
Das kann ich mir eben nicht verzeihen. Ist doch verständlich, oder? An ihrem
Tod schuld zu sein … «
    »Aber,
Küng. Dat is doch Unsinn, wat de sääss!« Lauthals verfiel Gerti in die Eifeler
Mundart. Es tat Jule beinahe in den Ohren weh. Dann riss sich die
Campingplatzbesitzerin wieder zusammen. »Schon seit Wochen hatte deine Oma eine
Lungenentzündung und ging partout nicht zum Arzt. Und das alles wegen deiner
Mutter, dem Satansbraten!«
    Jule
hörte ein rasselndes Einatmen, dann ging es weiter, ohne Punkt und Komma.
    »Weißt
du noch, es war in dem Sommer, als sie diesen neuen Liebhaber hatte? Diesen
Heini mit dem Reisebüro in Bad Münstereifel. Obwohl sie Camping hasste, die
Klos unhygienisch fand und sich über die Insekten aufregte, verbrachte sie die
ganze Ferienzeit mit dir im Schlepptau im ›Eifelwind‹. War praktisch für sie, weil
ihre Eltern für dich die Babysitter spielten, während sie feiern ging und diese
Affäre begann. Einige Zeit verschwieg sie dem Mann, dass sie verheiratet war
und eine kleine Tochter hatte. Und als sie endlich mit der Sprache rausrückte
und sich wohl schon eine goldene Zukunft an der Seite dieses reichen Schnösels
zurecht gelegt hatte, machte der Schluss. Ich weiß noch, dass sie dir dafür die
Schuld gab. Das muss man sich mal vorstellen, so einem kleinen Ding! ›Du bist
schuld, dass er weg ist!‹, hat sie dich angeschrien und geschüttelt.
    Und
weil sie dermaßen hysterisch war, ging deine Oma nicht zum Arzt, auch nicht,
als der Husten immer schlimmer wurde. ›Ich kann meine Tochter in diesem Zustand
nicht allein lassen‹, hat sie behauptet. ›Das tut auch der kleinen Jule nicht
gut.‹ So war das. Sogar dein Großvater war machtlos. Gegen diese Sturheit kam
er nicht an. Also machte er einen langen Spaziergang mit deiner Mutter, um
wenigstens ihr ins Gewissen zu reden. Und an dem Nachmittag stieg deine Oma in
den Kirschbaum.«
    »Und
stürzte, weil ich die Leiter nicht richtig festgehalten habe!«
    Gerti
stöhnte genervt auf.
    »Na
und? Sie brach sich ein Bein, nichts weiter. Im Krankenhaus haben sie
herausgefunden, wie krank sie war. Endlich wurde sie behandelt! Gott sei Dank!
Allerdings fing das Drama jetzt erst richtig an: Sie reagierte allergisch auf
die Antibiotika. Nichts half. Ihr Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag.
Es war furchtbar! Dein Opa war im Schock, deine Mutter kurz vor dem
Nervenzusammenbruch und du ganz still. Und schließlich tat deine Oma ihren
letzten Atemzug. Vorbei. Ja, so wor et.«
    Jule
schwieg schockiert. An all das hatte sie sich nicht erinnern können. Nur an
ihre Schuld. Die gar nicht so schwer und allumfassend war, wie sie bisher
geglaubt hatte. Nicht sie hatte Oma Maiwalds Tod verursacht. Nicht sie hatte
ihren Papa aus dem Haus getrieben. Gerti am anderen Ende der Leitung räusperte
sich:
    »Also,
du bist völlig unschuldig an dem Desaster. Und überhaupt! Mach dir nicht das
Leben schwer. Schuld, Unschuld, gut und böse. Wer will das entscheiden? Und wer
will bestimmen, wer was verdient hat? Ich glaube nicht an den ganzen Zirkus.
Höchstens daran, dass die Menschen dazu neigen, vom Weg abzukommen. Sich zu
verirren. Ja, verirrte Geister, das sind wir.« Sie holte tief Luft. »Jeder auf
seine Art. Denk doch mal an diese verrückte Melanie, deinen Jörg, den Stefan,
den Hermann oder an mich!«
    Gerti
schwieg kurz und Jule blieb an dem Ausdruck ›verirrte Geister‹ hängen. Ein
tröstliches Bild, fand sie. Die alte Frau war jedoch noch nicht fertig:
    »Vill
nüedijer is, dat du dinne Jewisse in Ordnung häss. Dat häss du ja. Un der Micha
jenauso, vill mie wie die andere. Der is üwwerijens auch davon üwerzeuch, dat
er dat Glück nit verdient hätt. Kee bissche. Papperlapapp. Is alles Blödsinn.
Haalt üch anenander fest. Joot üere Weg zesame un sitt glöcklich. Am beste hee
in de ›Eefelwind‹«

Epilog
    Ein Jahr später, in einer rauen
und windigen Herbstnacht, kam es zwischen

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