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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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einzige Kampfansage. »Wie kam
es dann dazu, dass Sie mitten in der Nacht die Flucht ergriffen?«
    Nun war
es an Jule, nach Worten zu suchen. Hilflos blinzelte sie mit den Augen, hoffte
auf Beistand bei der Rothaarigen, erntete aber lediglich einen fragenden Blick.
»Ich bin irgendwann aufgewacht«, stotterte sie schließlich. »Konnte nicht mehr
schlafen. Da hab ich mich angezogen und bin nach Hause … «
    »Um wie
viel Uhr war das?« Die nüchterne Nachfrage kam von Frau Schneider.
    »Circa
zwei Uhr. Micha hat nicht mitgekriegt, dass ich mich rausgeschlichen habe.«
    »Und
dann?«
    Jule
zögerte mit der Antwort. Wieder sah sie die toten, stumpfen Augen Stefans vor
sich und die Schneeflocken, die sich in den Wimpern verfangen hatten. Es war
ein schreckliches, zutiefst einsames und trostloses Bild, das in ihrer Seele
schmerzte.
    »Ich
ging am Angelsee entlang und da lag er. Dieser Ausbrecher. Tot. Ermordet. Es
war furchtbar … « Ihr kamen die Tränen. Das triste Büro mit den beiden
Kripobeamten darin verschwamm. Mit zittrigen Fingern wischte sie das Wasser aus
den Augenwinkeln. »Sie sehen, Michael Faßbinder kann nichts damit zu tun haben.
Irgend jemand anderes muss … Winter erschlagen haben.«
    Wesseling
schnaubte verächtlich. »Das ist nicht gesagt. Faßbinder ist gewieft. Vielleicht
hat er Ihnen ein Betäubungsmittel in den Grog geschüttet, gewartet, bis Sie
fest eingeschlummert sind, und daraufhin die Tat begangen. Wir werden Ihnen
Blut abnehmen müssen, um etwaige Spuren in ihrem Körper nachweisen zu können.«
    Müde
strich Jule ihr störrisches Haar aus der Stirn.
    »Tun
Sie, was Sie nicht lassen können. Ich kann nur immer wieder betonen, dass
Michael Faßbinder in der ganzen Geschichte unschuldig ist.« Entschlossen
richtete sie sich auf und funkelte Wesseling wütend an. »Ich halte es für
rechtswidrig, ihn trotzdem weiter festzuhalten. Ohne irgendwelche Beweise oder
Anhaltspunkte. Ich dachte, in Deutschland gilt die Unschuldsvermutung.« Das
Bild des verzweifelten Michael stieg in ihr auf. Die Handschellen, die gebeugte
Haltung, die Furcht in seinen Augen. »Lassen Sie den Mann endlich nach Hause
gehen. Er hat nichts verbrochen!«
    Ihr
eindringlicher Appell versickerte im leeren Blick des Kommissars.
    »Das
lassen Sie mal unsere Sorge sein. Wir kennen uns besser mit Typen dieses
Kalibers aus als Sie, Frau Maiwald. Davon können Sie ausgehen. Und nun
entschuldigen Sie mich bitte. Ich habe noch zu tun. Frau Schneider wird das
Protokoll ausdrucken, das Sie bitte unterschreiben. Danach wird sie Sie zur
Blutabnahme begleiten.« Schwer stemmte er den massigen Leib aus dem Bürosessel.
»Ach ja, halten Sie sich bitte bis auf Weiteres zu unserer Verfügung. Teilen
Sie uns einfach Ihren Aufenthaltsort mit und wie Sie zu erreichen sind. Auf
Wiedersehen und Grüße an den werten Gatten.«
    Sprachs
und verließ vergnügt pfeifend das Büro. Behänder und wendiger, als Jule es bei
einem Mann seiner Statur für möglich gehalten hätte.

Zweiter Teil: Zu Hause
    Der Audi schwebte nahezu über
das matte Grau des Asphalts. Eine blasse, grünbraune Landschaft gespickt mit
schmutzig weißen Flecken flitzte vorbei. Schon schwanden Berge und Hügel und machten
einer klaren horizontalen Linienführung Platz. Hurra, das Flachland hatte sie
wieder. Niederrhein, wir kommen.
    Jule
bettete den Kopf an das Polster und genoss die wohltuende Wärme der Sitzheizung
bis in den kaputten Lendenwirbel. Seit dem Besuch in der Euskirchener
Polizeiwache heute morgen schmerzte der Rücken wieder heftiger. Wahrscheinlich
hatte sie sich zu sehr verspannt, als sie sich gegen den fetten Kommissar zur
Wehr setzen musste. Sie schloss die Augen und spürte der eigenen Gefühlslage nach.
Erleichterung war es, was sie hauptsächlich empfand, aber auch Traurigkeit und
Bedauern. Zuletzt natürlich Scham. Aber die war ja inzwischen zu ihrem
ständigen Begleiter geworden.
    Sie
atmete tief ein und aus, um dann kurz zu Jörg hinüber zu linsen. Mit durchgedrückten
Armen saß er am Steuer, das Gesicht eine weiße Maske. Er schien sich ganz aufs
Fahren zu konzentrieren. Jule konnte nur ahnen, wie unglücklich er war.
     
    »Lass uns nach Hause fahren«,
hatte er sie gebeten, als sie das Polizeigebäude verlassen hatte und ihm
draußen in der blendend hellen Frühlingssonne fast in die Arme gelaufen wäre.
»Bitte, Jule. Wir beenden diesen Albtraum und kehren in unser Leben in Kaarst
zurück, okay?«
    Verwirrt
hatte sie ihn angeschaut und nicht so

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