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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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Hirn. Fest presste sie den Hörer an die Ohrmuschel.
    »Es hat
eine Explosion gegeben«, krächzte Hermann leise. Er schnappte keuchend nach
Luft. »Es ist unerklärlich, wie das geschehen konnte. Aber dein … Stellplatz ist völlig verwüstet. Der alte Tabbert und auch der Anbau, nur noch
ein Trümmerfeld. Kind, es tut mir so leid. Gerti und ich wissen doch, wie sehr
du an dem Wohnwagen deiner Großeltern gehangen hast. Es ist schrecklich und
unerklärlich.«
    Jule
saß da wie versteinert. Die Nachricht tröpfelte erst nach und nach in ihr
Bewusstsein. Zuerst hatte sie bloß Erleichterung verspürt. Es ging gar nicht um
Micha, Gott sei Dank. Dann aber begann sie Stück für Stück zu begreifen. Der
Wohnwagen war nicht mehr, der Dauercampingplatz im ›Eifelwind‹ in seiner idyllischen
Verwunschenheit – brutal zerstört. All die Erinnerungen …
    »Was
ist mit dem Kirschbaum?«, flüsterte sie.
    »Tut
mir leid, Kind. Der hat auch Feuer gefangen.«
    Da fing
sie an zu weinen. Lautlos. Verzweifelt. Nichts war mehr wie vorher. Sie war
entwurzelt worden. Heimatlos. Und mit einem Mal fühlte sie sich völlig fremd
auf diesem Sofa, in den weiten Hallen dieses aufgeräumten, sauberen Hauses in
Kaarst-Büttgen.
    Jana
setzte sich ganz nah neben sie. Vorsichtig legte sie einen Arm um ihre
Schwester. Die wurde von einzelnen Schluchzern durchgeschüttelt, während sie
den Hörer in ihrer Hand zusammenquetschte.
    »Kind,
es muss eine Gasexplosion gewesen sein. Vielleicht eine undichte Leitung«,
haspelte Hermann weiter. »Aber das Feuer ist gelöscht. Immerhin … Und wenn
alle Trümmer beseitigt sind, können hier ein neuer Wohnwagen und neue Pflanzen
stehen. Das Grundstück ist ja noch da.«
    »Kann
ich mit Micha sprechen?« Plötzlich hatte sie das Gefühl, nicht mehr zuhören zu
können. Aber Michael, den brauchte sie jetzt, seine tatkräftige Unterstützung,
seine Verlässlichkeit, seine Bedächtigkeit.
    Schweigen.
    »Hermann?
Was ist mit ihm? Hält ihn die Polizei weiter fest?«
    Ihre
Fragen wurden drängend, neue Panik machte sich in ihr breit. War Micha etwa
doch etwas zugestoßen?
    Nun räusperte
sich Hermann. »Nein, man hat ihn freigelassen, gestern schon. Aber er ist weg.
Gerti und ich wissen auch nicht wohin. Er hat das Mobilheim geräumt, ohne uns
Bescheid zu sagen.« Jule spürte, dass er noch etwas auf dem Herzen hatte. »Wir
machen uns große Sorgen um ihn. Die Polizei sucht ihn. Er hätte sich nicht aus
dem Tal entfernen dürfen, sagen sie.«
    Jule
schluckte erschrocken. »Ist er vor oder nach der Explosion verschwunden?«
    »Davor.
Gestern Abend war er fort. Er muss direkt, als er aus Euskirchen zurückkam,
seine Sachen gepackt haben. Kind, Gerti und ich wissen weder aus noch ein. Er
hat doch noch Bewährung, und dann die Ermittlungen im Mordfall Winter … Was
soll nur werden?«
    Ja,
grübelte Jule. Was soll nur werden?
    »Weiß
die Kripo von der Detonation auf dem Campingplatz?«, hakte sie nach.
    »Tja,
das ließ sich leider nicht vermeiden.« Hermanns Stimme klang erschöpft. »Ein
paar Leute von der Spurensicherung hielten sich noch am Angelsee auf, als es
passierte.«
    In
Jules Kopf drehte sich alles. Würde Wesseling es zuwege bringen, die Verbindung
zwischen Stefan Winter, Michael Faßbinder und dem ursprünglichen Versteck der
Beute aus dem Bankraub herzustellen? Wenn ja, hing sie selbst wesentlich tiefer
in der Geschichte drin, als ihr lieb war. Der flüchtige Bankräuber und Mörder
hatte in Oma Maiwalds Wohnwagen in Seelenruhe Chili gegessen und Wein
getrunken. Und sie hatte ihn gedeckt. Gleich zwei Mal.
    »Oh
Scheiße«, war alles, was sie antworten konnte.
    Dann
legte sie auf.
     
    Jana war ihr ein großer Trost.
Zwar hatte die jüngere Schwester kaum Erinnerungen an den Großvater
mütterlicherseits. Und die Oma war lange tot, als Jana geboren wurde. Daher
hing sie auch nicht an dem Dauerstellplatz im ›Eifelwind‹. Sie hatte nie dort
ihre Ferien verbracht, sondern war mit Mama und Papa in den Sommerferien stets
nach Spanien in das Ferienhaus ihrer anderen Großeltern gefahren.
    Aber
Jana wusste natürlich um Jules Verbundenheit mit dem Campingplatz in der Eifel.
Jule hatte den Stellplatz vom Opa geerbt. Und sie hatte das zugewachsene
Grundstück und den uralten Wohnwagen mit Hingabe gehegt und gepflegt. Jana
begriff wohl, dass Jule die Erinnerungen an Oma und Opa Maiwald um jeden Preis
wach halten wollte und dass sie sich deshalb in der Pflicht sah, die kleine
Idylle zu

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