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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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stecken mit Faßbinder unter einer Decke.«
    Schwer
hievte er seinen unförmigen Leib in die Höhe; der antike Hochlehnstuhl aus
Mahagoniholz schabte unschön über den Parkettboden.
    »Das
ist absolut lächerlich!« Jule konnte ihre Wut nicht mehr im Zaum halten. Sie
sprang ebenfalls auf. »Nur deshalb sind Sie den weiten Weg von Euskirchen
hierher gefahren? Um mich grundlos eines Verbrechens zu bezichtigen und wüste
Beschimpfungen auszustoßen? Sie haben sie doch nicht mehr alle! Suchen Sie
lieber den Verrückten, der erst Sonja Bohr erstochen und dann Winter brutal
erschlagen hat! Da läuft ein Mörder in der Eifel rum. Und der heißt bestimmt
nicht Michael Faßbinder!«
    »Der
Mord an Frau Bohr geht auf Winters Kappe«, korrigierte Angela Schneider. »Ihr
Haus war voll mit seinen Fingerabdrücken. Nur die Mordwaffe hat er abgewischt.
Und außerdem sind wir nicht allein Ihretwegen nach Kaarst rausgefahren.« Sie
lächelte Jule beschwichtigend an. »Sonja Bohrs Schwester lebt hier in Kaarst.
Genauer gesagt im Ortsteil Vorst. Von ihr benötigen wir einige
Hintergrundinformationen.«
    Jule
klappte verblüfft den Mund zu. Das hatte sie nicht gewusst. Was für ein Zufall!
Und während sie die beiden Kriminalpolizisten zur Haustür geleitete, türmte
sich in ihrem Kopf ein gewaltiger Berg Fragen auf. Wie ein mächtiger Haufen
ungewaschener Wäsche nach einem langen Urlaub.
     
    Michael schob sich die
vorgeschnittenen Pizzastücke von der Schachtel aus direkt in den Mund.
Zwischendurch spülte er mit Wein nach. Jule betrachtete ihn im Schummerlicht
der halb herunter gelassenen Rollos sowohl fürsorglich als auch misstrauisch.
    Gerade
hatte sie ihm von dem Gespräch mit Wesseling und Schneider erzählt. Er hatte
hauptsächlich geschwiegen. Nun bestimmte der Hunger sein Handeln. Sie war froh,
dass sie nicht nur bei ›Guiseppes Pizza‹ in Büttgen angehalten hatte, sondern
ihm auch den Kühlschrank vollmachen konnte. Sie ließ Michael gerade so viel
Zeit, den letzten Bissen herunter zu schlucken, bis sie ihn mit Fragen
bombardierte.
    »Also,
was hast du mir zu sagen? Was weißt du über das Feuer? Warum bist du
hergekommen? Und wie überhaupt?«
    Michael
lehnte sich in dem Sessel zurück, wischte sich mit dem Unterarm – da wo
der Verband aufhörte – über die Lippen, und betrachtete Jule aufmerksam.
    »Immer
mit der Ruhe«, besänftigte er und griff nach der Weinflasche. Erst als er einen
kräftigen Schluck genommen hatte, begann er seinen Bericht – in
seiner typischen, bedächtigen Art.
    »Als
die Bullen mich Montagnachmittag laufen gelassen haben, bin ich erst mal zurück
zum ›Eifelwind‹. Mit dem Taxi. Ganz schön teuer, aber es ging nicht anders. Ich
war ja nicht selbst nach Euskirchen gefahren, sondern bin im Streifenwagen
hingebracht worden. Eigentlich wollte ich mich nur ein bisschen aufs Ohr legen – ich
war total fertig von den Verhören und hatte die Nacht über in der Scheißzelle
kaum geschlafen – aber auf dem Weg zum Mobilheim sind mir als erstes die Friedrichs
über den Weg gelaufen, du weißt schon, dieses Ehepaar, das ständig im
Partnerlook rumläuft. Die sind direkt vor mir zurückgewichen. Hatten echt
Schiss vor mir! Ein paar Meter weiter treffe ich Odenthal. Der hat mich
angestarrt wie ein Gespenst. Und da wusste ich, ich krieg im ›Eifelwind‹ kein
Bein mehr auf den Boden. Für die Gäste war ich nicht mehr ›der Micha‹, sondern
nur noch ›der Verbrecher‹.« An dieser Stelle grinste er freudlos und nuckelte
ein weiteres Mal an der Flasche. »Ich hab dann meine Sachen gepackt. Was hätte
ich anderes tun sollen?«
    Fragend
schaute er sie an, wartete aber eine Antwort gar nicht erst ab. Das war auch
nicht nötig. Jule konnte nachempfinden, wie er sich gefühlt hatte. Gescheitert,
ausgegrenzt und noch dazu immer noch tief verstört über den Tod des Freundes.
Flucht war für ihn die einzige Lösung gewesen. Als er jetzt weiter erzählte,
konnte sie sich in seine Gemütslage gut einfühlen.
     
    Micha hatte seine Habe in
wenige Kartons und eine Reisetasche verstaut und alles in den kleinen
Lieferwagen des Campingplatzes getragen, den er sonst für die Arbeit nutzte.
Dann setzte er sich hinters Steuer.
    Im
selben Moment überfielen ihn Mutlosigkeit und Lethargie. Wo sollte er hin?
Anstatt loszufahren, kramte er in seinen Sachen nach einem Flachmann und leerte
ihn. Der Alkohol verbreitete angenehme Wärme im Körper und benebelte seinen
Geist gerade so weit, dass sich die innere

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