Bleischwer
bewahren.
Nun
kümmerte sich die Jüngere liebevoll und mitfühlend um die Ältere. Sie brachte
ihr Taschentücher gegen die Tränenflut, kochte ihr einen Kräutertee und hielt
ihre Hand. Trotzdem spürte Jule ihre Irritation.
»Wer
ist eigentlich dieser Michael?«, traute Jana sich schließlich zu fragen. »Der,
bei dem du Sonntagnacht warst und der jetzt verschwunden ist?«
Jule
brauchte nicht lange zu überlegen. »Ein Freund. Ein sehr guter Freund«,
bekannte sie leise.
Das
Klingeln des Telefons enthob sie gnädiger Weise von weiteren Erklärungen. Jetzt
war wirklich Wesseling dran.
Er kam
direkt zum Punkt. »Frau Maiwald, Ihr Liebhaber, den wir aufgrund Ihrer Aussage
gestern auf freien Fuß setzen mussten, ist verschwunden. Was wissen Sie über
seinen Verbleib?« Der Kommissar klang aufgebracht.
Jule
riss sich zusammen, um nicht allzu weinerlich zu klingen.
»Gar
nichts weiß ich«, antwortete sie wahrheitsgemäß. »Ich hatte bis gerade eben
noch nicht einmal eine Ahnung davon, dass er fort ist.«
»Das
nehme ich Ihnen nicht ab. Kollegin Schneider und ich statten Ihnen heute
Nachmittag einen Besuch ab. Ich erwarte, dass Sie gegen 15 Uhr zu Hause sind!«
»Aber … « Jule
wollte einwenden, dass sie wegen der Explosion auf dem Campingplatz sowieso
noch einmal in die Eifel müsse, doch Wesseling ließ sie nicht ausreden.
»Kein
Aber! Bis später.« Und schon klickte es in der Leitung.
Jule
wandte sich mit brennendem Gesicht ihrer Schwester zu. Hatte der Kommissar etwa
so laut gesprochen, dass Jana seine Worte hatte mithören können? Liebhaber, was
bildete der fette Bulle sich ein? Jana wirkte Gottlob arglos.
»Was
wollte die Polizei von dir?«, wollte sie wissen.
»Mich
noch einmal zu dem Mordfall befragen. Michael aufspüren.« Müde strich Jule sich
das wirre Haar aus dem Gesicht. »Ach Jana, ich war so froh, endlich zu Hause zu
sein. All diesen Mist hinter mir zu lassen. Jetzt holt mich die Geschichte
wieder ein. Schrecklich. Und dann noch die Zerstörung von Opa Maiwalds
Wohnwagen! Was soll ich nur machen?«
»Jörg
anrufen?« Janas Stimme klang zaghaft. Die Situation überforderte sie sichtlich.
»Jörg weiß immer einen Rat. Er bringt die Dinge ins Lot.«
Jule
lächelte dankbar. Jana hatte recht. Wenn einer Ordnung in dieses Chaos bringen
konnte, dann ihr Ehemann. Zumindest würde er wissen, wie sie mit dem
verwüsteten Grundstück in der Eifel umzugehen hatte.
Um 14.15 Uhr – Jana
war längst gegangen – klingelte es zum zweiten Mal an der Haustür. Erneut wurde Jule
ärgerlich. 15 Uhr
hatte der Kommissar gesagt. Jetzt kam er eine Dreiviertelstunde zu früh.
Frechheit! Was bildete sich der Fettsack eigentlich ein?
Energisch
durchmaß sie den Flur und riss die Tür auf. Was sie sah, ließ sie nach Luft
schnappen. Beinahe hätte sie die Haustür wieder zugeschlagen. Da draußen im
Nieselregen standen nämlich nicht Wesseling und Schneider, sondern ein völlig
durchnässter Michael Faßbinder. Ungläubig blinzelte sie ihm entgegen. Du kannst
nicht vor deinen Problemen weglaufen, schoss es ihr zynisch durch den Kopf. Sie
holen dich immer wieder ein.
»Hi
Jule.« Er lächelte schüchtern und schien sich alles andere als wohl in seiner
Haut zu fühlen. »Bist du allein?«
Sie
konnte nur nicken. Sein Anblick verschlug ihr die Sprache. Nebenbei
registrierte sie die prall gefüllte Reisetasche, die er bei sich hatte. Ihr
Blick wanderte weiter. Erschrocken sah sie, dass seine Jeans an einigen Stellen
schwarz verfärbt war. Und die Jacke. Die Jacke hatte Brandlöcher an den Ärmeln.
Panisch wich sie zurück.
Micha
schien das als Einladung misszuverstehen. Eilig drängte er sich an ihr vorbei
ins Haus. Verdattert ließ sie die schwere Tür ins Schloss fallen und drehte sie
sich zu ihm um.
»Du
kannst nicht hier bleiben!«, stieß sie aus. »Die Kripo kommt gleich. Sie suchen
dich überall!«
»Ich
muss mit dir sprechen. Dein Stellplatz im ›Eifelwind‹ ist abgebrannt … «
»Ich
weiß. Hermann hat angerufen. Micha, du musst schleunigst weg!«
Der
Mann vor ihr ließ die Reisetasche fallen und taumelte zur Seite. Jule begriff,
dass er völlig fertig war.
»Komm
mit.« Sie schnappte sich ihren Mantel von der Garderobe, griff nach den
Autoschlüsseln und dirigierte Michael Richtung Küche. Von dort gab es einen
Zugang zur Garage. Sehr praktisch, wenn man eingekauft hatte, sehr praktisch
auch jetzt. Sie entriegelte den Audi – gut,
dass Jörg immer mit dem Firmenwagen der Kanzlei zur
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