Bleischwer
Arbeit fuhr – und
bugsierte Michael auf den Beifahrersitz. Die Reisetasche warf sie in den
Kofferraum. Per Fernbedienung öffnete sie das Garagentor.
Kurz
darauf brausten sie in Regen und Wind durch den Ort. Schnell ließen sie das
sogenannte ›Komponistenviertel‹ mit seinen beschaulichen Einfamilienheimen,
Reihenhäusern und zugewachsenen Gärten hinter sich und fuhren nach dem
Passieren der Bahnunterführung an Altenheim, Friedhof, Feuerwehr, Sportanlage
und Hallenbad vorbei zum Ortsausgang.
Nach
einem knappen Kilometer auf der Landstraße, die in kühnem Linksbogen in kahle
Felder schnitt, erreichten sie das unspektakuläre 400-Seelendorf Driesch, eine
Ansammlung von Häusern und Häuschen entlang der Hauptstraße mit nur wenigen
Abzweigungen zu beiden Seiten. Bald bog Jule links ab, um kurz vor dem Feldrand
rechterhand in die Bungalowsiedlung aus den frühen 1970er Jahren zu gelangen.
Michael
kauerte zusammen gekrümmt neben ihr. Wenn möglich, solle er als Beifahrer nicht
zu erkennen sein, hatte sie ihn gemahnt. Zwischendurch, wenn das Autofahren ihr
nur das Minimum an Aufmerksamkeit abverlangte, äugte sie hinüber zu ihm.
Entsetzt bemerkte sie die Brandblasen an seinen Händen. Er war dem Feuer auf
dem Stellplatz sehr nahe gekommen, kein Zweifel. Jule schluckte alle Bedenken
hinunter. Nein, Micha konnte unmöglich der Verursacher der Explosion sein. Nun
waren sie am Ziel angekommen. Sie sprang aus dem Wagen und öffnete das Tor zur
Garagenauffahrt. Erst als sie den Audi hinter der dichten, grünen Wand aus
Tujas geparkt hatte, ließ sie Michael aussteigen.
»Wo
sind wir?«, wollte er wissen, während er ihr zur Haustür folgte.
»Komm
erst mal rein.«
Das
Innere des Bungalows lag in kühlem Halbdunkel. Der Marmorboden glänzte. Es roch
muffig.
»Hier
entlang. Keine Angst, wir sind allein.« Schnurstracks führte sie ihn ins
Wohnzimmer. Perserteppiche, Wohnwand, Eichenmöbel, Aquarium … der
Traum einer Hausfrau aus den späten 1980ern. »Es ist das Haus meiner Mutter und
meines Stiefvaters. Die sind noch bis Anfang Mai in Spanien. Seit Weihnachten.
Typisch Rentner, weißt du. Sonne tanken im Winter.«
Jetzt
erst drehte sie sich zu Michael um. Der stand mit verwirrtem Gesichtsausdruck
da. Seine Augen waren voller Fragen.
Jule
beeilte sich zu erklären: »Du kannst hier übernachten. Für’s Erste.«
»Aha.«
Er wirkte wenig begeistert. Dann rieb er sich müde die Augen und ließ sich
erschöpft in einen Sessel fallen. »Und du?«
»Ich
fahr jetzt wieder nach Hause. Der fette Kommissar hat sich für 15 Uhr angemeldet. Sagte ich doch
schon!« Sie merkte selbst, wie gereizt sie reagierte und wusste nicht so recht,
wieso.
»Kommst
du später zurück?«
Kein
Wort des Dankes dafür, dass sie ihn aus der Schusslinie bugsiert hatte!
Jule
begann, sich zu ärgern. Dann fiel ihr Blick erneut auf seine verletzten Hände
und die angesengte Kleidung. Plötzlich tat er ihr leid. Unwillkürlich biss sie
sich auf die Lippen.
»Ich
weiß nicht«, antwortete sie gedehnt, während sie schon auf dem Weg in die Küche
war. »Nur, wenn Jörg dann noch bei der Arbeit ist. Er darf auf keinen Fall
Verdacht schöpfen … « Eilig kramte sie in Mamas Schublade mit den Medikamenten herum.
Ihre Finger fanden schnell, was sie gesucht hatten. Mit einem Verbandspäckchen
und einer Tube Brandsalbe in der Hand trat sie zu Micha an den Sessel. »Bitte,
zieh deine Jacke aus.«
Er
gehorchte. Sie sah, dass es ihm Schmerzen bereitete, die Ärmel über die Hände
zu ziehen. Jule hockte sich vor ihn, ließ das Stechen im Lendenwirbel
aufflammen und abebben und nahm die Wunden genauer in Augenschein. Vorsichtig
wendete sie seine großen Handteller hin und her. Die Blasen waren teilweise
bereits aufgeplatzt. Rohes Fleisch kam zum Vorschein und jede Menge Wundsekret.
»Eigentlich
gehörst du zum Arzt«, murmelte sie, während sie sanft etwas Gel auf den
schlimmsten Stellen verteilte.
»Jule,
ich muss mit dir reden. Dringend!«, sagte er leise, aber mit Nachdruck. Sie
schaute auf und ihr Blick verfing sich in seinem. Was sie darin sah, ließ sie
erschauern. Qual las sie, Angst und Sorge. Und noch mehr. Sie traute sich
nicht, es zu benennen, aber es hielt sie fest. Kaum konnte sie sich davon
losreißen.
»Später«,
vertröstete sie ihn mit einem Kloß im Hals und beugte sich erneut über seine
Hände. »Ich komme, sobald ich kann, okay? Jetzt halt still. Ich verbinde noch
die Wunden, ja? Das entzündet sich sonst. Ach ja, bedien
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