Bleischwer
hatte.
Verblüfft stellte er fest, dass er das Ding kannte. Noch näher schob er sich
heran, um endlich danach greifen zu können. Tatsächlich, es war die Brotdose,
in der er 1987
die Beute verstaut und am Weinstock neben dem Felsbrocken vergraben hatte.
Nachdenklich drehte er sie in den verletzten Händen hin und her. An manchen
Stellen war das Metall dunkel angelaufen, an manchen glänzte es wie neu.
Seltsam,
Jule hatte doch die leere Dose in der Erde gelassen, als sie das Loch neben dem
Weinstock zuschüttete. Allzu lange konnte die Büchse hier also noch nicht
gelegen haben. Wer hatte sie ins Wasser geworfen? Der Mörder Stefans
vielleicht?
Michael
schleuderte das Ding zurück in den Steinbach. Die Strömung trug es unter die
Überhänge eines Gestrüpps. Weg war es. Micha blieb auf dem feuchten, kalten
Boden liegen und beobachtete weiter den Brand. Kriegte denn keiner im
›Eifelwind‹ etwas von der Katastrophe mit? Erst als er ein paar menschliche
Schatten sah, die sich dem Unglücksort näherten und das Tatütata eines
Feuerwehrfahrzeugs hörte, schlich er sich am Waldsaum entlang bis zum
Parkplatz. Ohne groß nachzudenken, fuhr er mit dem Lieferwagen davon.
»Ich
bin dann nach Mechernich zum Bahnhof«, berichtete er jetzt. »Wollte doch nicht
einfach Gertis und Hermanns Lieferwagen klauen. Also hab ich ihn auf dem
Parkplatz abgestellt, nur die Reisetasche gegriffen und bin erst mal mit der
Bahn nach Köln. Die ganze Zeit taten die Hände weh wie Sau, und die Leute im
Zug musterten mich so komisch, wahrscheinlich wegen der Brandlöcher in der Hose
und den Verletzungen. Außerdem hab ich garantiert aus jeder Pore nach Schnaps
gestunken.« An dieser Stelle grinste Micha sie schief an. »Die haben mich
bestimmt für so ’ne Art Penner gehalten.« Er verwuschelte mit einer
bandagierten Hand sein Haar, bevor er fortfuhr. »Während der Fahrt hab ich
überlegt, wie es weitergehen soll. Plötzlich war mir klar, dass ich
herausfinden muss, wer die leere Blechdose ausgegraben und in den Steinbach
geworfen hat. Genauso wie ich unbedingt wissen will, wer deinen Stellplatz
verwüstet hat, warum jemand Stefan erschlagen hat und vor allem wer. Also,
einfach die Biege machen ging nicht.«
Wieder
machte er eine Pause, diesmal, um Jule mit bezwingendem Blick intensiv ins
Visier zu nehmen. »Aber allein schaff ich das nicht, Jule. Ich brauche dich.
Hilf mir, die ganze beschissene Geschichte aufzuklären! Darum hab ich in einem
Internetcafé am Kölner Hauptbahnhof deine Adresse recherchiert. Und darum bin
ich hier.«
Sie
fühlte sich wie festgetackert. Michael forderte ihre Hilfe ein. Und er wollte
sie an seiner Seite! Furcht kroch in ihr hoch. Sie war heim nach Kaarst
gekommen. Zu Jörg. Zu ihrer Ehe und ihrem Leben vor dem Unfall. Sie wollte das
Intermezzo in der Eifel, die Tage mit Michael, den schrecklichen Mord an Stefan
Winter, all dies – die ganze beschissene Geschichte, wie Michael treffend gesagt
hatte – einfach nur vergessen. Und nun holte die Geschichte sie wieder
ein. Mit aller Macht. Unerbittlich.
»Micha … «,
flehte sie und wand sich unter dem forschenden Ausdruck in seinen Augen. »Ich
kann dir nicht helfen. Ich, ich bin … verheiratet.«
Sie
merkte selbst, wie feige sie sich anhörte und wie lahm die Ausrede klang. Aber
ihr Gegenüber ließ nicht locker:
»Jule,
da hat jemand den Stellplatz deiner Oma in Brand gesteckt, all deine
Erinnerungsstücke in die Luft gejagt, deine ganze kleine heile Welt kaputt
gemacht. Beinahe hätte mich das Arschloch dabei getötet. Den Scheißkerl willst
du davonkommen lassen? Und dann die Sache mit Stefan. Du kanntest ihn. Findest
du es richtig, dass ihn jemand erschlagen hat wie ein lästiges Insekt? Und
nicht nur das. Demjenigen passt es gut in den Kram, dass die Bullen mich dafür
verknacken wollen. Hättest du mir nicht ein wasserdichtes Alibi geliefert, säße
ich jetzt nicht hier, sondern in irgendeiner Scheißzelle in Aachen oder
Ossendorf. Unschuldig. Bitte Jule, willst du wirklich in aller Ruhe zuschauen,
wie so jemand davon kommt?«
Sie
schluckte.
»Nein«,
flüsterte sie. »Du hast recht, das kann ich nicht.«
»Na
also.« Erleichtert lehnte er sich zurück und bettete den Kopf an die
Sessellehne. »Dann lass uns überlegen, wie wir die Sache angehen wollen.« Er
hob die Weinflasche mit schlaffem Arm, führte sie an die Lippen und leerte sie.
Dabei ließ er Jule nicht aus den Augen.
Jörg war erst nach 20 Uhr zu
Hause. In der Zwischenzeit
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