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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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der Umarmung
zu lösen.
    »Lass
uns reingehen«, murmelte sie schließlich. »Nicht, dass noch die Nachbarn
aufmerksam werden.«
    Er
hielt sie auf Armeslänge von sich und schaute ihr prüfend in die Augen. »Wenn
alles vorbei ist, wirst du dann zu mir stehen?«
    Überrumpelt
wich sie seinem Blick aus und wiegelte ab. »Noch ist gar nichts vorbei. Lange
nicht. Wir schauen mal, ja?«
    Drinnen
in Melanies Wohnzimmer begutachtete sie die Stirnwunde unter dem frischen Pflaster.
Sie sah viel besser als gestern aus. Jetzt betrachtete sie Michaels Hände. Von
den Brandmalen war kaum noch etwas zu sehen. Auch der Kratzer am Unterarm war
mittlerweile verschorft und hatte sich nicht entzündet.
    »Gutes
Heilfleisch«, resümierte sie, um in einem Atemzug zu fragen: »Heute schon
Nachrichten geguckt?«
    Hatte
er nicht, und so schilderte sie ihm Wesselings wilde Theorien. Micha schwieg
betroffen, als sie von Sonjas Krebserkrankung erzählte und schaute verwirrt
auf, als sie von der Bestätigung der beiden Flüge nach Australien berichtete,
die sie zwischen Frank Beckers und Stefan Winters Briefen gefunden hatte.
    »Im
August wollte sie fliegen. Mit Becker, denke ich.«
    »Sie
hatte gleichzeitig was mit Stefan und mit diesem Bullenschwein?«, fragte er entsetzt.
»Warum erfahre ich erst jetzt davon?«
    »Ich
weiß nicht«, stotterte Jule. »Ich habe einfach nicht mehr daran gedacht.«
    Schwer
atmend ließ Micha sich auf das mintfarbene, abgeschabte Ledersofa fallen.
»Scheiße«, sagte er. »Mein Fehler. Ich habe dir nämlich auch was verschwiegen.«
    Jule
setzte sich neben ihn, griff nach seiner Hand und klammerte sich daran fest.
    »Erzähl«,
bat sie furchtsam und neugierig zugleich.
    »Frank
Becker kenne ich seit meiner Kindheit«, begann Micha. »Er ist nur ein paar
Jährchen jünger und ging in dieselbe Grundschule wie Stefan und ich. Als
kleiner Junge ist er uns dauernd hinterher geschlichen, fand uns cool und
wollte immer dabei sein. Wir fanden ihn einfach bloß nervig. Er war klein, dick
und dumm.« Micha grinste schwach bei dieser Erinnerung. »Heute ist er ja so’n
Kraftprotz, Muckis wohin man sieht. Als Kind war er bloß ein Fettklops. Später,
ich wohnte längst in Köln-Chorweiler und hatte die Kacke am Dampfen, da hörte
ich, dass er eine Ausbildung zum Bullen machte. Passte irgendwie zu ihm: bei
anderen das Haar in der Suppe suchen und sich wichtig machen.« Er seufzte und
knetete heftig Jules Hand, bevor er zögernd fortfuhr. »Nachdem ich mit 19 aus
der JVA Siegburg entlassen worden war – Jugendstrafe, du weiß ja – , erfuhr ich, dass er inzwischen meine Cousine geheiratet hatte.
Beate ist eine total Liebe, Gutmütige, und jetzt hatte sie diesen Aufschneider
an der Backe. Ach du Scheiße, dachte ich, das kann ja nicht gut gehen. Und es
ging tatsächlich nicht gut. Inzwischen hat Beate mit dem Schwein vier Kids, und
der steckt seinen Lümmel überall rein, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.
Wie oft hat meine Cousine mir ihr Leid geklagt. Trockenpflaume, so nennt er sie
in aller Öffentlichkeit. Das musst du dir mal vorstellen!« Micha sah Jule um
Verständnis heischend an. »Er war dann lange bei der Polizei in Euskirchen,
auch schon 87. Zur Zeit des Bankraubes war er krank geschrieben.
    Ich hab
nach dem Überfall und Stefans Verurteilung viele Jahre in Baden Württemberg
gelebt. Hab keine Scheiße mehr gebaut. 2005 bin ich zurück nach Köln; irgendwie
zog es mich zurück ins Rheinland. Das hätte ich besser bleiben lassen. Ich
hatte ein billiges Souterrain-Appartement im Zentrum gemietet und einen guten
Job bei der Stadt: Grünanlagen sauber halten, Gartenarbeiten und so. Am
Wochenende bin ich durch die Kneipen gezogen, meistens allein.« Hier pausierte
er erneut, biss sich auf die Lippen und sprach schließlich weiter, immer leiser
werdend. Jule sah, dass er sich schämte. »Wenn ich saufe, verlier ich manchmal
die Kontrolle«, gestand er. »Dann hau ich drauf, bis Blut spritzt. An einem
Freitagabend war ich voll wie ’ne Haubitze, als ich in so einem
Anbaggerschuppen Frank Becker treffe, rechts und links eine vollbusige Ostbraut
mit Botoxlippen und Silikontitten im Arm. Zu der Zeit war er schon Dorfpolizist
in Steinbach, und meine Cousine litt immer noch unter seinen ständigen
Seitensprüngen. Ich hab’ einfach rot gesehen, weißt du. Ich konnte sein
selbstgefälliges Grinsen nicht ertragen. Der hat in voller Absicht einer der
Tussis die Hand unter den Rock gesteckt und mich dabei angegrinst. Ich

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