Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
Vom Netzwerk:
direkt bei Neuss auf die A 57 Richtung Köln zu fahren,
steuerte sie die Landstraße nach Holzbüttgen an. Bald erblickte Jule die großen
Hinweisschilder für ›Küppers Erdbeeren‹. Zügig fuhren sie an Pferdekoppeln,
Erdbeerfeldern und Apfelplantagen vorbei.
    »Wo
wollen wir hin?«, wunderte sie sich.
    »Bloß
was abholen«, klang es von hinten. »Auf dem Bruchweg. Bei einem Autohändler.«
    Jule
schwieg verdutzt, als sie auch schon das sogenannte Gewerbegebiet Holzbüttgen
Ost erreichten, das sich zu großen Teilen rechts und links des Bruchweges
erstreckte.
    ›Gewerbe‹
konnte man in diesem Fall tatsächlich sogar wörtlich verstehen. Denn neben
einigen kleineren Firmensitzen, Autohäusern, Getränkemarkt und Fitnesscenter
säumten mehrere rot angestrahlte, aber ansonsten unscheinbar daherkommende
Wohnhäuser die Straße. Purpurn blinkende Herzchen in den Fenstern wiesen den
nach Befriedigung lechzenden Männern hilfreich den Weg.
    Melanie
Pütz-Coenen hielt vor einem Maschendrahtzaun, an dem ein verbeultes Schild mit
der Aufschrift ›Wilhelm Zierowski, Gebrauchtwagen, An-und Verkauf‹ baumelte.
Es hing schief, war nur notdürftig mit rostigem Draht daran verzwirbelt worden.
    »Lässt
du mich raus?«, bat Micha von hinten. Jule sprang hinaus und öffnete den
Kofferraum.
    »Was
willst du bei diesem Zierowksi?«, fragte sie bang, als sie neben ihm auf der
Straße stand. Jenseits des Zauns befand sich zwischen einigen wenig
vertrauenerweckenden Limousinen und Kleinwagen ein abgewrackter Wohncontainer
mit Wellblechdach. Ihr Liebhaber grinste schief. Jule sah, dass die nun
pflasterlose Stirnwunde zwar gut verheilte, dass aber die Blutergüsse – in
allen Farben schillernd – bis unter sein linkes Auge gezogen waren.
    »Am
besten bleibst du hier«, forderte er sie auf. »Willi legt Wert auf Diskretion.«
    »Willi?«,
fragte sie, während ihr Liebhaber bereits auf das Grundstück zusteuerte.
    »Ein
alter Kumpel aus Bochum.«
    Er
öffnete das schwere Eisentor im Zaun – es
kreischte protestierend in den Angeln – und
lief auf die behelfsmäßige Behausung zu. Bochum. Ein Knastkumpan also. Jule
wurde mulmig zumute.
    Sie
sah, wie sich drüben die Eingangstür öffnete und ein bierbäuchiger Mann mit
nackten, tätowierten Armen und Zigarette im Mundwinkel herauskam. Eine
herzliche Umarmung folgte. Dann verschwanden beide Männer im Innern des
Wohncontainers. Es dauerte nicht lange, bis Micha zurück kam. In der Hand trug
er eine ALDI-Plastiktüte mit offenbar schwerem, sperrigen Inhalt. Er drückte
Jule einen Kuss auf die Lippen, bevor er mit zufriedener Miene in den
Kofferraum des Smarts zurück kroch.
    Melanie
startete den Wagen, fuhr über den beschrankten Bahnübergang an der
Gümpgesbrücke links auf die B 7 und von dort auf die Autobahn. Sie hatte
missbilligend die Lippen zusammengepresst und stierte stur geradeaus.
    »Micha,
was hast du bei diesem Willi abgeholt?«, quengelte Jule.
    »Schusswaffen
natürlich«, mischte Melanie sich in ätzendem Tonfall ein. »Dein Freund glaubt,
er zieht in den Krieg.«
    »Ich
hab halt keinen Bock, noch einmal eine Flasche an den Kopf zu kriegen,
gefesselt in einen Fluss getunkt zu werden oder knapp einem Flammenmeer zu
entkommen«, schimpfte es von hinten.
    Plötzlich
musste Jule kichern, hysterisch. »Das klingt ja fast nach James Bond«, gluckste
sie, wurde aber schlagartig wieder ernst. Micha hatte recht. Sie schwebten in
ernster Gefahr. Bestimmt war es nicht schlecht, sich im Notfall verteidigen zu
können. »Kannst du überhaupt mit so einem Ding umgehen?«
    Micha
schnaubte verächtlich. »Vergiss nicht, dass ich mal Bankräuber war.«
    Schweigen
breitete sich in dem kleinen Smart aus. Schnurrend glitt er durch die
Dämmerung.
    Jule
machte sich so ihre Gedanken. Sie war im Begriff, einen konservativen, allzu
geldgierigen Juristen gegen einen mittellosen Exgangster einzutauschen. Im
Moment kam ihr das total wahnwitzig vor. Ihr ganzes Leben war, genau genommen,
eine Farce. Und zum ersten Mal seit langer Zeit erlaubte sie sich, über die
Sache mit Jan nachzudenken.
     
    Jan Westermann hatte Anfang
letzten Jahres als Nachfolger von Jules in Rente gegangener Kollegin Marion
beim Diakonischen Werk in Neuss angefangen. Ihre Schreibtische standen sich in
dem engen Büro direkt gegenüber.
    Jan
arbeitete zu fünfzig Prozent in der Verwaltung; die andere Hälfte der Stelle
umfasste den Besuchsdienst bei psychisch Kranken, die nach einem
Klinikaufenthalt wieder auf eigenen

Weitere Kostenlose Bücher