Bleischwer
bin
ausgerastet.« Micha presste kurz die Lippen zusammen. »Aber Becker ist ja nicht
blöd. Er hat in dem Gedränge irgendeinen besoffenen Typen vorgeschoben, und
meine Faust ist in dessen Gesicht gelandet. Klar hat der Mann sich gewehrt, und
da hab’ ich ihn alle gemacht. Ich hab‘ ihm das Jochbein, die Nase und die
Brille zertrümmert. Einige Glassplitter davon sind in sein linkes Auge
gedrungen. Seitdem ist er blind darauf. Das werde ich mir wohl nie verzeihen!
Und als er am Boden lag, habe ich sogar noch reingetreten und ihm ein paar
Rippen gebrochen. Ich war wie im Rausch, ich Arschloch!
Der
Scheißbulle hat sich während des Spektakels heimlich vom Acker gemacht. Im Bau
hab‘ ich an einem Antigewalttraining teilgenommen und hatte echt Glück, dass
die mich nach zwei Dritteln entlassen haben.«
Michael
wagte es kaum mehr, Jule in die Augen zu sehen.
»Wahrscheinlich
hältst du jetzt nicht mehr viel von mir, was?«
Was
sollte sie dazu sagen? Dass sie Gewalt und Brutalität verachtete, aber Michaels
explodierenden Hass auf den Mann seiner Cousine verstand? Dass sie sich nicht
anmaßen durfte, ihn wegen dieser Sache zu verurteilen? Dass sie es trotzdem
tat? Vor lauter Ratlosigkeit fiel ihr keine Antwort auf seine bange Frage ein.
Stattdessen keimte ein Verdacht in ihr auf.
»Der
Streit, den ich Freitagabend vor einer Woche bei den Mülltonnen im ›Eifelwind‹
belauscht habe, war der zwischen Becker und dir?«
»Du
hast das mitgekriegt? Ja, das waren der Scheißbulle und ich. Frank hatte wie so
oft eins der Mobilheime angemietet, um dort mit irgendeiner Nutte zu vögeln.
Als ich ihn darauf angesprochen habe, hat er gedroht, den Campinggästen von
meinen Vorstrafen zu erzählen. Also hab ich zähneknirschend den Mund gehalten.
Ich konnte doch nicht riskieren, dass Gerti und Hermann meinetwegen finanzielle
Einbußen haben.«
Jule
nickte versonnen. »Da war so eine operierte Blondine an der Rezeption. Die
wollte Brötchen kaufen. Ich hatte gleich den Eindruck, dass die nicht in den
›Eifelwind‹ passt.«
»Ja.«
Micha nickte ebenfalls. »Becker reißt die Weiber in Köln auf und bezahlt ihnen
ein paar Nächte plus Spesen auf dem Campingplatz.«
»Aber
wieso hatte er es dann noch nötig, mit Sonja Bohr ins Bett zu steigen?«,
wunderte sich Jule.
Micha
schnaubte geringschätzig. »Ich sag doch, der nimmt alles mit, was er kriegen
kann. Frag dich mal lieber, warum Sonja es nötig hatte.«
Das war
ein Gedanke, der etwas für sich hatte. Jule überlegte. Hatte Sonja womöglich
nicht Stefan für ihre Zwecke ausgenutzt, sondern Frank Becker?
»Vielleicht
hatte es mit seinem Job zu tun«, sprach sie in den blauen Dunst hinein. »Sie
brauchte ihn, um irgendetwas zu bekommen. Informationen … «
»… oder
Waffen«, ergänzte Micha. »Frank war schon als junger Polizist korrupt. Was
glaubst du, von wem Stefan damals den Tipp mit den Diamanten hatte? Und von wem
er die Waffen kriegte?«
Jule
riss vor Überraschung die Augen weit auf.
»Dann
hat Becker gewusst, dass ihr die Sparkasse überfallen wolltet und ließ sich
deshalb vorsorglich krank schreiben?«
»Du
sagst es.« Micha lächelte böse. »Bloß dass ich der zweite Mann war, wusste
Frank nicht. Das hat Stefan geheim gehalten, auch wegen Beate. Und das war mein
Glück. Bis heute.«
In dem
Moment hörten sie eine Tür klappern.
»Na, wie sieht er aus? Nicht
wiederzuerkennen der Mann, was?«, sprudelte Melanie beim Betreten des
Wohnzimmers.
»Stimmt.«
Jule lächelte die Freundin dankbar an. »Man könnte ihn glatt für einen
Südländer halten.«
Melanie
grinste zufrieden. »Na ja, dafür ist er ein bisschen zu groß, würde ich sagen.«
Sie schwang sich direkt neben Michael aufs Sofa und tätschelte sein Knie. »Der
Rasen wartet«, kommandierte sie. »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.«
Micha
sprang gehorsam auf. Bald ertönte von draußen das Brummen des elektrischen
Rasenmähers.
Erst
jetzt erkundigte Melanie sich vorsichtig. »Dein Mann Jörg hat also Michael
niedergeschlagen und verschleppt. Aber wer war die Frau, mit der er während der
Autofahrt telefoniert hat?«
Jule
schob aggressiv ihr Kinn vor. »Darüber habe ich mir auch schon den Kopf
zerbrochen. Und ich bin jedes Mal zum gleichen Ergebnis gekommen: Es kann nur
Jana gewesen sein, meine kleine Schwester!«
»Wie
bitte?« Melanie reagierte empört. »Warum sollte die dir so etwas antun?«
»Als
Micha spurlos verschwunden war, habe ich sie dabei erwischt, wie sie
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