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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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Verbündeter sein.« Die Kamera fuhr zurück. Wesseling räusperte sich.
Dabei streifte er die blonde, junge Reporterin, die nun mit ins Bild gekommen
war, mit arrogantem Blick und dozierte weiter. »Sonja Bohr litt an unheilbarem Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Winter, der bekanntlich mit ihr in engem Kontakt stand, vertraute einem
Mithäftling an, er wolle die Beute aus dem Euskirchener Bankraub dazu
verwenden, seiner Freundin eine bessere medizinische Behandlung zukommen zu
lassen. Ein nicht unerheblicher Teil der Beute besteht aus Diamanten im Wert
von circa einer Million Euro.« Die Blondine öffnete ihre blass rosa
geschminkten Lippen und setzte zu einer Erwiderung an, doch Wesseling redete
unbeirrt weiter. »Wir gehen davon aus, dass Faßbinder inzwischen im Besitz der
Juwelen ist. Es ist daher von äußerster Wichtigkeit, dass der Verbrecher
schnell gefasst wird. Bitte verständigen Sie umgehend die Polizei, falls Sie
glauben, ihn erkannt zu haben.«
    Jetzt
hatte die Reporterin offenbar die Faxen dicke. Resolut entriss sie dem
Kriminalbeamten das Mikro. »Wir zeigen Ihnen noch einmal das Foto des gesuchten
Michael Faßbinder«, piepste sie mit schrillem Stimmchen hinein, »und blenden
die Telefonnummer ein, unter der Sie Ihren Verdacht melden können. Der Mann ist
48 Jahre alt, 1,82 m groß, hat grüne Augen und dunkelblondes Haar. Ein
besonders auffälliges Kennzeichen sind starke Vernarbungen an beiden
Unterarmen. Faßbinder ist mehrfach vorbestraft und gilt als äußerst
gewaltbereit. Bitte nähern Sie sich ihm nicht. Hiermit gebe ich zurück ins
Studio … «
    Mit
offenem Mund und einem feuchten Lappen in der Hand starrte Jule wie blind in
den Fernseher. Nicht allein das gnadenlose Bild, das in der Sendung von Micha
gezeichnet wurde, und die Unterstellungen Wesselings schockten sie, sondern vor
allem die Informationen über Winters ermordete Geliebte.
    Sonja
Bohr war tatsächlich an Krebs erkrankt gewesen, hämmerte es in ihrem Kopf,
während sie jetzt die Tischplatte mit dem Lappen bearbeitete. Unheilbar. In der
Hinsicht hatte sie nicht gelogen. Und ihre Schwester sowie sämtliche Einwohner
Steinbachs hatten keine Ahnung gehabt.
     
    Jörg schlief weiter seinen
Rausch aus, als Jule schon im Auto saß. Erst warf sie das Altglas in den
Container, dann parkte sie direkt am Rathausplatz.
    Samstag
war Markt in Büttgen. Am Fuße der Aldegundiskirche und teilweise unter den
Betonsäulen des Rathausklotzes aus den 1970ern reihten sich Verkaufswagen und
Pavillons mit den unterschiedlichsten Auslagen auf der gepflasterten Fläche.
Frühlingsblumen leuchteten in üppig-buntem Durcheinander, fragwürdige Textilien
blähten sich auf Kleiderbügeln im Frühlingshauch, frische Brote und Brötchen
dufteten verführerisch.
    Schnell
deckte Jule sich mit Obst und Gemüse vom Biobauern ein, kaufte noch etwas Aufschnitt
und Käse und eilte schließlich zwischen lamentierenden Hausfrauen – »Basses Kinger, dat jüwet doch ja nit.« … »Leew
Herjöttsche, stank mich bee!« – und flanierenden Rentnern
schwerbepackt zum Auto zurück.
    Danach
steuerte sie umgehend Melanies Kosmetikstudio in Vorst an. Der Laden
präsentierte sein ›Geöffnet‹-Schild und die Besitzerin steckte mitten in einer
Typberatung für eine Kundin in den Vierzigern.
    Melanie
lächelte erfreut bei Jules Anblick und wies wortlos mit dem Daumen Richtung
Hintertür. Das ließ Jule sich nicht zweimal sagen, sondern schlüpfte winkend
hindurch ins Wohnhaus. Die Glastür zum Garten stand offen.
    Dort
mähte ein dunkelhaariger Mann in grünen Arbeitshosen Rasen. Jule runzelte die
Stirn. Sie fand es nicht besonders klug, fremde Leute ins Haus zu lassen, so
lange Michael sich hier versteckt hielt. In dem Moment drehte sich der
vermeintlich Fremde um. Jules Herz machte einen Satz. Schnell eilte sie über
das frisch gemähte Gras zu ihm.
    »Micha«,
sagte sie und zauste sein Haar. »Du bist ja kaum wiederzuerkennen.«
    »Mel
hat mir heute morgen die Haare gefärbt und sie gleich ein bisschen geschnitten.
Sie sagt, jetzt brauche ich mir nur noch einen Dreitagebart zulegen, dann
erkennt mich kein Schwein.«
    »Da
könnte … Mel … recht haben«, antwortete Jule mit einem eifersüchtigen Stich im
Herzen. Micha und Melanie schienen sich blendend zu verstehen.
    Jetzt
lachte er Jule breit an. »Küss den fremden Mann.«
    Schon
verflog die Eifersucht, und sie lag in seinen Armen. Es tat so gut, ihn zu
spüren und festgehalten zu werden. Kaum schaffte sie es, sich aus

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