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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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zu schnell. Ein LKW, der eine abschüssige Straße herabkam. Der Fahrer mußte den Motor abgestellt haben, denn alles geschah völlig geräuschlos. Ich wunderte mich über diese Rücksichtnahme, wendete mich ab, um wieder ins Bett zu gehen, als ich ein lautes, häßliches Geräusch vernahm, wie wenn Knochen brechen. Das Zimmer bebte, mein Zahnputzglas fiel klirrend ins Waschbecken und zersplitterte.
    Ich stürzte ans Fenster. Die beiden Zapfsäulen der Tankstelle vor dem Hotel waren abrasiert. Sprudelnd strömte Benzin auf die Straße. Im matt beleuchteten Schnee sah es wie schwarzes Blut aus. Ein Funke jetzt, und alles würde in Flammen stehen.
    Der LKW war an der Wand des Hotels zum Stehen gekommen. Ich sah auf meine Uhr. Drei Uhr morgens. Ich ging hinunter und drückte auf die Schelle an der Rezeption. Nichts tat sich. Ich rannte durch die Gänge, schlug gegen die Türen, nichts.
    Panik überfiel mich. Ich raffte meine wenigen Sachen zusammen, stopfte sie in meine Reisetasche und rannte hinaus. Draußen war der Benzingestank bestialisch. Immer noch quoll Benzin aus den Stümpfen der Tankanlage. Der LKW stand mit eingedrückter Seite des Fahrerhauses schräg an der Hotelfassade. Die Fahrertür war offen, und ich sah einen Menschen. Er lag mit dem Oberkörper auf dem Lenkrad. Ein Arm hing schlaff herab.
    Ich kletterte auf das Trittbrett und griff nach dem Handgelenk des Mannes. Kalt und steif wie ein toter Fischleib, kein Puls. Sein Gesicht war nicht zu sehen. Es war verdeckt von einem schnabelförmigen Hut. Seine Kleidung war höchst ungewöhnlich, eine dunkle Uniform mit goldenen Epauletten.
    Was ich nun tat, hätte ich normalerweise niemals riskiert. In meinem Heimatland zum Beispiel wäre ich überhaupt nicht auf die Idee gekommen, in eine Tatsituation eigenmächtig einzugreifen. Aber jetzt folgte ich einem impulsiven Gefühl. Ich zog dem Toten die Jacke aus. Dabei fiel sein Kopf nach hinten, und ich sah im grünlichen Licht der Straßenlampe ein maskenhaft aufgequollenes Gesicht. Aus der Platzwunde an der Stirn trat kein Blut aus. Er mußte schon eine Weile tot sein.
    Ich rollte die Uniformjacke zusammen und stopfte sie zusammen mit dem Hut in meine Reisetasche. Dann machte ich, daß ich davonkam. Aber wohin sollte ich gehen?
    Das Wetter war unangenehm naßkalt, die Luft voller beißender Gase.
    Die Häuserfronten dunkel. Doch hoch über der Stadt leuchtete das Sternbild, das ich schon in meiner ersten Nacht hier gesehen hatte. Die Fenster des Schlosses.
    Ich machte mich noch einmal auf den Weg hinauf. Inzwischen kannte ich den Weg und fand ihn trotz der Dunkelheit. Alte Kinderängste vor Geistern und Unholden kamen in mir auf.
    In der Toreinfahrt war es stockfinster. Unwillkürlich streckte ich wie ein Blinder die Hand aus. Es war, als tauchte sie in Teer. Eine Weile rührte ich mich nicht und lauschte. Nichts, nur ein gleichmäßiges Atmen. Ein schwaches, rhythmisches Geräusch wie aus der Brust eines Schläfers, die sich kaum merklich hebt und senkt.
    Die Steinmasse im Innenhof glich einem monströsen Lebewesen aus einer anderen Welt. Ich tastete mich an dem Felsen entlang, spürte den kalten, feuchten Hauch, der von ihm ausging. Der pulvrige Schnee schien aus sich heraus zu schimmern, doch dann sah ich, daß am zweiten Giebel eine nackte Glühbirne brannte.
    Mir fiel auf, daß der Holzstapel größer geworden war. Die Axt war vom Klotz verschwunden. Im Treppenhaus gab es nirgendwo Licht. Je höher ich kam, desto mehr stieg ich in die Nacht zurück. Meine Schritte hallten, obwohl ich mir Mühe gab, so leise wie möglich zu sein.
    Als ich die Tür des Malers erreichte, war mir wohler zumute. Ich preßte ein Ohr dagegen. Diesmal kein Summen des Windrädchens. Dafür Musik. Ganz schwach.
    Ich klopfte, mehrmals. Erst leise, dann immer lauter. Endlich hörte ich Schritte. Die Tür öffnete sich einen Spalt. Hinter der sich straffenden Kette erschienen die fast ausdruckslosen, aber freundlichen Augen des Wohnungsinhabers. Er schien mich zu erkennen, denn er hakte das Kettchen aus und ließ mich ein.
    »Was willst du?« fragte er. »Um diese Zeit?«
    »Es gibt zwei Gründe«, sagte ich. »Unten in der Stadt gibt es etwas, das mich vertrieben hat. Außerdem muß ich mit dir reden.«
    Er schien bei der Arbeit gewesen zu sein. Sein Malkittel war voller Farbe. Jetzt sah ich auch die Palette auf dem Tisch, die Staffelei mit der Leinwand, die erst teilweise ausgemalten Umrisse eines Bildes. Ein riesiger, blauer

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