Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman
Totenkopf, aus dessen Augenhöhlen Fische schwammen.
Derbacher sah meinen Blick. »Ich versuche etwas Neues, solange mir noch die Zeit dazu bleibt. Die ewigen Lichtungen ertrage ich nicht mehr. Ich habe mich gefragt, warum ich so viele Waldlichtungen gemalt habe. Es muß etwas mit der Sehnsucht nach Geborgenheit zu tun haben. Eine Lichtung ist eine so seltsame, märchenhafte Verbindung von Freiheit und Gefangensein. Verstehst du, was ich meine? Die DDR war eine Lichtung. Jetzt ist sie es nicht mehr.«
»Hast du Angst, daß dir etwas passieren könnte?«
Er nickte. »Ich habe Grund zu der Annahme, daß ich meines Lebens nicht sicher bin.«
»Du bist schon der zweite, der mir das sagt. Mein Freund hat mich aus dem gleichen Grund hierhergebeten. Ich bin Polizist und könnte ihm vielleicht helfen. Aber jetzt leugnet er plötzlich, in Gefahr zu sein. Doch warum meidet er dann neuerdings den Kontakt mit mir?«
»Ich kenne deinen Freund ein wenig. Er ist so ziemlich der einzige, der sich für meine Bilder interessiert hat.«
»Außer dem ehemaligen Koch des Altersheims.«
Er sah mich verstört an. Dann sprang er auf und lief unruhig hin und her.
»Du bist wirklich ein Polizist, Piet. Du hast gut recherchiert. Du kennst also Herrn Volz. Und du kennst dann wohl auch seine Frau.«
Ich nickte, und Derbacher setzte sich wieder.
»Ich kann mir denken, daß dein Freund vielen hier ein Dorn im Auge ist. Er ist schließlich Holländer, also die Verkörperung eines Freiheitswillens, den man uns hier seit langem ausgetrieben hat. Außerdem haben die Leute aus deiner Heimat hier in letzter Zeit einiges angerichtet. Sie sind nach der Wende wie die Aasgeier über uns hergefallen. Darf ich dir einen Tee anbieten? Einen Hibiskustee? Ich habe ihn von deinem Freund. Er hat mir ein großes Apothekerglas voller getrockneter Hibiskusblüten geschenkt. Er hat mir erzählt, daß auf der Autobahn ein LKW einen Sack davon verloren hat. Er fuhr zufällig dahinter und hat ihn mitgenommen.«
Heinz setzte Wasser auf und wechselte die Platte. Blues. Heinz war ein Bluestyp, wie er mir versicherte. Er brauche ihn beständig wie ein Sedativum. Es sei seine Grundierung der Leinwand des Lebens.
»Wir sollten uns vertrauen«, sagte ich. »Dann redet es sich leichter über unangenehme Dinge und schwerer über angenehme.« Ich reichte ihm die Hand. Er drückte meine. »Piet«, sagte er. »Du hast recht, wir sollten reden. Niemand hier redet wirklich. Dabei wird sehr viel geredet. Aber es ist schlecht synchronisiert. Wie bei einem chinesischen Film, dem ein deutscher Ton unterlegt wird. Die Lippenbewegungen stimmen nicht.«
Eine Zeitlang sprachen wir nicht. Wir lauschten nur der Musik. Lightning Hopkins. Der gute alte Countryblues hatte in dieser Umgebung etwas Subversives.
Schließlich kochte das Wasser auf der alten Elektroplatte. Heinz warf eine Handvoll Hibiskusblüten in eine alte Blechkanne, goß Wasser drüber und stellte große Tonbecher auf den Tisch. Ein säuerlicher Duft breitete sich aus und überdeckte den muffigen Schimmelgeruch des Raums.
»Warst du schon im Westen?«
»Ja. Ich bin von Beruf Automechaniker, und ich habe wie viele noch vor der Wende einen Ausreiseantrag gestellt und durfte raus. Ich habe eine Weile bei Stuttgart in einer Autowerkstatt gearbeitet, aber ich hielt den Streß nicht aus. Ich gehöre zu der gar nicht so kleinen Minderheit derjenigen, die die Öffnung der Grenze dazu benutzt haben, zurückzukehren.«
Der Hibiskustee schmeckte nach Ines. Meine Laune stieg. »Hast du malen gelernt?« fragte ich.
»Ich bin Amateur, aber meine Technik ist professionell, wenigstens vom Anspruch her. Ich bin ein typischer Schichtenmaler. Das ist eine alte und sehr langsame Malweise. Lasieren, eine dünne, durchsichtige Schicht über die andere legen. Das Motiv also vier- bis fünfmal malen. Jedesmal dazwischen trocknen lassen. Man braucht viel Geduld, aber das Ergebnis ist auch entsprechend. Nur bei dieser Technik gibt es wirkliches Licht, wirklichen Schimmer, wirkliche Tiefe. So ist es auch mit der Freiheit. Sie ist das Ergebnis von Geduld, von Warten. Schicht für Schicht, Kindheit, Begreifen, Schmerz, Liebe, Einsamkeit, alles, was man an Lebenserfahrung sammeln kann. Alles übereinandergelegt. Dann sieht man am Ende den Glanz der Freiheit.«
»Du meinst, man kann aus einem Gefängnis nicht ausbrechen in einem einzigen Akt der Befreiung?«
»Niemals. Man nimmt die Gitterstäbe immer mit hinaus. Es ist oft sogar noch
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